Syltlauf – das bedeutet 33,333 km (für uns als Staffel zu
siebt) durch schöne Dünenlandschaften, vorbei an reetgedeckten Häusern (und
einzelnen älteren Bausünden) in der erfrischenden Nordseeluft. Der morgendliche
Blick aus dem Fenster zeigt blitzblanken blauen Himmel und strahlende Sonne.
Der Gang aus dem Hotel katapultiert uns brutal in die aktuelle Sylter Realität:
0° und stürmischer Wind aus Nordost. Sehr stürmischer Wind.
Der Wetterbericht verspricht einen herausfordernden Lauf:
Der Streckenverlauf bringt daher alle in den vollen Genuss,
denn er führt von der Südspitze der Insel nach Norden, am Ende mit kurzem
Schwenk östlich. Wir Mädels sind daher schon einmal froh, dass wir dieses
härteste Stück einem jungen Burschen überlassen können.
Am Vorvortag wird eine akribische Planung aufgestellt, mit
der jeder unserer 7 Läufer rechtzeitig an seinem Startpunkt steht. Wir haben
dazu 2 Autos zur Verfügung. Chefin Doris und Co-Chefin Heidrun übernehmen die
Ablaufplanung auf der Basis der ingenieursmäßigen Vorarbeit von Chris und
Georg. Alles passt.
Chris muss als erster aufbrechen. Er fährt per Shuttlebus
nach Hörnum. Die Lage unseres Hotels ist dazu perfekt, in 5 Gehminuten ist er am
Busbahnhof. Kurz darauf fährt mein Autoshuttle vor und los geht’s.
Auf Sylt ist die Besonderheit, dass Staffeln wechseln
können, wo sie wollen. Man kann also gut auf die jeweiligen Wünsche und
Laufvermögen eingehen. So wird Chris nach rd. 8 km an mich übergeben.
Wir erwarten ihn bei einem Parkplatz südlich von Rantum. Es
bleibt genügend Zeit, aus dem Auto heraus die wildromantische Dünenlandschaft
zu genießen. Doch kaum verlasse ich den Wagen für ein wenig Warmlaufen, zerrt
der Sturm erbarmungslos an der Kleidung. Die Startnummer klemme ich daher
sicherheitshalber gleich hinter meinen Gurt, anstatt sie an den Befestigungen
anzubringen.
Noch auf der Anreise lasen wir im Bahnmagazin über die wissenschaftliche Feststellung, dass die Berner die langsamsten Geher
weltweit seien. Welch ein Glück, dass es hier nicht um gehen geht, sondern laufen angesagt ist. Chris kommt mit
einem Schnitt von 5:08 Min/km an, was in Anbetracht seines Trainingsausfalls
und des Sturms sehr gut ist. Zudem "hält" seine Achillessehne :-)
Ich übernehme den retro-stylishen hölzernen Staffelstab und
bekomme sofort zu spüren, was das heute für eine Anstrengung wird. Aber
dennoch, für meine 6,5 km will ich mich nicht lumpen lassen und haue raus, was
geht. Da kommt es ganz besonders frustierend rüber, wenn Volldistanzläufer
(erkennbar an weißen Startnummern) mich bei meiner Pace von rd. 5:17 Min/km locker-flockig
überholen. Menschenskinder, das sind aber „Lauftiere“ hier, schließlich haben
die ja denselben heftigen Wind! Immerhin lassen es sich auch einige
Bewohner und Gäste nicht nehmen, stoisch dem Sturm zu trotzen und feuern
uns Läufer an. Eine Weile halte ich mich hinter drei munter schwatzenden Herren, die nebeneinander laufend guten Windschatten geben. Doch am Ende von Rantum scheren sie zum Verpflegungstisch aus, und plötzlich muss ich mich allein dem Wind entgegenstemmen. Kräftezehrend ist das.
Durch Rantum zu laufen, ist noch angenehm, denn die Häuser geben
etwas Windschatten.
Aber dann kommt freies Terrain… und es heißt die Zähne
zusammenzubeißen. Hier und da kann ich einen Staffelläufer überholen, das
motiviert. Und dann kommt wieder so ein zermürbender Volldistanzsprinter von
hinten, manche locker joggend als sei dies hier ein Sonntagsnachmittagskaffeekränzchen.
Immerhin ist zu konstatieren, dass die Kälte inzwischen keine Rolle mehr spielt.
Dank wärmetechnisch maximaler Bekleidung ist der Rumpf warm und die Füße, die
noch beim Einlaufen taub waren, sind auch wieder spürbar. In windgeschützten
Passagen, die auch erfreulicherweise vorkommen, spüre ich auch meine Finger
wieder.
Mein Streckenteil verläuft fast nur entlang der Straße. Links
die Läufer auf dem Radweg, rechts ein Autokorso. Manche sylttypisch schöne wie teure Autos sind darunter.
Aus einem offenen Fenster wummert laut „Conquest of Paradise“, passt wunderbar
zur Aussicht auf die Dünen und der Nase im Wind.
Am Vortag sind wir die komplette Strecke einmal abgefahren
und so erkenne ich aus der Ferne meinen Wechselpunkt. Ich kratze nochmal alle Körner zusammen für einen kleinen Schlusssprint. Wer nun noch 20 km weiter laufen muss, hat noch allerhand vor sich... Monika steht bereit und
übernimmt den Stab für einen Kilometer.
Ich verschnaufe kurz, und laufe dann die Strecke ein Stück
weiter mit. Herrlicher Streckenabschnitt, im Windschatten von Gehölz und daher wunderbar
zu laufen. Es wäre echt eine Versuchung, den Syltlauf einmal komplett zu bestreiten. Doch wenn das Wetter wie heute wäre, wäre das beim Zeitlimit von 4
Stunden für mich wohl illusorisch. Ich nutze mein Auslaufen, um vom Wechselpunkt aus gemütlich ins Hotel zu traben, denn ich habe Sorge, sonst aus dem Frieren nicht mehr heraus zu kommen und gleich wieder eine Erkältung einzufangen. Nach diesen 1,5 km ist die Wärme im Zimmer wunderbar.
Monika wechselt auf Eva. Danach werden Doris, Heidrun und unser Schlussläufer Multitasker Georg (er whatsappt uns von unterwegs seinen jeweiligen km-Stand) folgen. Mein Entschluss, ins Hotel zu gehen, verhindert zwar leider die
gemeinsame Würdigung unserer Leistung im Ziel, doch die endlos laufende Nase zeigt, dass dies wohl so besser
war. An der Rezeption bietet man mir sofort ein heißes Getränk an. Ich wähle
der Region entsprechend einen Schwarztee. Herrlich, das tut gut. Mit meiner
Pace von 5:22 Min/km über alle km hätte ich bei diesen Bedingungen nie gerechnet! Unsere Staffelzeit ist mit knapp über 3 Stunden und damit im ersten Drittel der Staffeln für uns ein toller Erfolg, der abends mit gebührender Kalorienzufuhr gefeiert wird.
Eine außergewöhnliche Medaille gibt es hier. Das kann ja durchaus neugierig machen, wie die 2019'er-Version aussehen wird...
Nachtrag: Der Veranstalter sprach von 1400 Teilnehmern. Ins Ziel kamen 422 Männer, 182 Frauen und 54 Staffeln. Rechnet man die Staffeln mit je 8 Läufern kommt man also auf rd. 1000 Finisher. Aber nicht alle Staffeln hatten 8 Läufer... Eine deutliche Ausfallquote also. Dennoch gewann der Sieger trotz der Bedingungen in 2:09:33, eine Wahnsinnsleistung.