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Montag, 3. März 2014

Ausgeschlossen

Gern wäre ich ja heute ins Büro gegangen, hätte meine ganze Schaffenskraft zum Wohle des Arbeitgebers aufgeboten, das Bruttosozialprodukt mit nach oben geschraubt...

Aber nichts, ich kann nicht, ich wurde ausgeschlossen!
Und nicht nur ich, nein, alle Kollegen!
Tür zu, keiner kommt rein, alle ausgesperrt.

Und nur, weil in Kölle heute wieder die jährliche Großdemo angesagt ist. Die ihre Schatten schon Tage vorauswarf, als nämlich das Viertel, in dem ich arbeite, sich verbarrikadierte wie für einen bevorstehenden Großangriff:

Nun ja, steht ja auch bevor, der Angriff der stimmungsseeligen Brauchtumsmafia, die die Stadt auf den Kopf stellt. Oft denke ich mir, was mögen wohl Touristen, die ahnungslos hierher kommen, für eine Wahrnehmung der Deutschen, Unterspezies "Rheinländer", haben?


Die Innenstadt großräumig gesperrt, Polizeiaufgebote, Menschen in sagen wir mal innerem und bekleidungstechnischem Ausnahmezustand,
Musikbeschallung so weit die Ohren hören können, während zeitgleich um selbige Wurfgeschosse zischen,
kollektiv-physische Massenbewegungswellen (lokal als "schunkeln" bezeichnet),
Nahrungsaufnahme vornehmlich flüssiger Art, die im Tagesverlauf recht förderlich für gewisse Attacken sind, genannt "Bützjer"...

Ja, all das zieht ohne mich an unserer Bürotür vorbei...

Denn  wenn diese Zeit des Jahres erreicht ist, hat man hier, im Epizentrum des Karnevalismus, nur 2 Alternativen: Mitmachen oder flüchten.

Ich bin für die zweite Variante und genieße einen freien Tag, sowie den anstehenden heutigen Trainingslauf (60 Min in 6:30 Min/km).
Wobei ich dann wieder einmal mehr feststellen muss, dass auch in meinem Wohnort, in dem heute kein "Zoch kütt", auch das Ausschlussprinzip gilt: Ausschluss von allen merkantilen Aktivitäten:
Gerade mal der Bäcker hat auf, aber alle anderen Geschäfte sind zu. So laufe ich nachmittags kurz nach 16 Uhr durch einen wie ausgestorben wirkenden Ort.
Denn -siehe oben- entweder ist man "nom Zoch", oder man ist geflüchtet.

Aus dem Nachbarort kommen mir Menschen in Ringelsocken und mit prall gefüllten Plastiktüten müde entgegen geschlurft. Teils ist der Gang etwas unsicher. Die Quelle der abtransportierten Güter ist mir fast klar und ich finde sie beim Einbiegen auf die Hauptstraße: Musik, "Alaaf!"- und "Kamelle!"-Rufe von Weitem und vor mir ein Anblick, als sei hier der Müllwagen mit den eingesammelten Grüner-Punkt-Abfällen explodiert. Der Umzug ist gerade hier vorbei gekommen. Ich biege in die nächste Nebenstraße ab, denn auf der Hauptstraße ist kein Durchkommen. So gelange ich in die vermeintlich stilleren Wohngebiete.
Sonst still jedenfalls, denn hier steigt schon das Nach-Umzugsprogramm. In diversen Garagen sind Feiern im Gange, man hört sie jeweils schon von fern, denn moderne Lautsprecher haben enorme Leistung.
Ja so haben doch auch die Nachbarn in der nächsten Querstraße noch etwas davon!

Doch ich freue mich für die Jecken, dass sie dieses Jahr recht gute Wetterbedingungen haben, da hat Petrus ihnen in früheren Jahren schon viel mehr abverlangt.
Ävver wat esu ene rischtije Lappeklaun es, dä es unverwüslisch!

Kurz vor daheim komme ich an der örtlich angesagtesten Gaststätte vorbei. Natürlich zu.
Auf dem Vordach noch ein Ausgeschlossener:

Schon seit vielen Tagen sitzt er da, und darf dem munteren Treiben nur von oben zusehen. Besonders morgen, wenn unser Ort sein Inferno erleben darf, weil hier der letzte Umzug im Kreis gehen wird, und alle, die noch nicht genug haben, sich hier einfinden.

Und das sind ziemlich viele ...


Aber danach wird er die Hauptperson sein! Beim tragischen Event seines angekündigten Todes. Es ist nämlich der "Nubbel", den morgen sein Schicksal ereilt, wenn er verbrannt und damit der Karneval für diese "Session" beendet wird.
Ja, welch ein Schicksal... vielleicht kann er bis dahin noch ein letztes Kölsch genießen...
Und vielleicht gehen ihm die schönen Liedzeilen durch den Kopf:
"Wenn ich su an ming Heimat denke
un sin d’r Dom su vür mer ston,
mööch ich direk op Heim an schwenke,
ich mööch zo Foß no Kölle jonn."

(Hier das Lied als Audio)
...und leise sagt er vor sich hin: "Ävver schön wor et doch!"


9 Grad, 9,3km, 1:00:12, (6:27 Min/km), Puls 137

10 Kommentare:

  1. Schön geschrieben. Ich gehör ja nicht zu den Flüchtlingen... aber unheimlich ist es schon, so mit Abstand betrachtet.

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    1. Danke. Ich flüchte auch nicht immer, manchmal kommt das Kölner Blut durch...
      Liebe Grüße
      Elke

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  2. Hab ich ein Glück, nicht in einer so jecken Region zu leben. Mir hat schon gereicht, dass die Mensa heute zu hatte - aber ich durfte wenigstens arbeiten! ;-)

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    1. Liebe Anne,
      nun, die 2 geschenkten freien Tage (Weiberfastnacht ist der andere Ausschlusstag) sind gar nicht so übel.
      Aber morgen "darf" ich auch wieder...
      Liebe Grüße
      Elke

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  3. Wenn es das Fernsehprogramm und zwei oder drei durchgeknallte Dörfer in der Umgebung nicht geben würde, die voll auf Karneval machen, würden wir hier oben von den merkwürdigen Gebräuchen in der Rheinischen Tiefebene gar nichts mitbekommen.

    Danke auch für die mir noch völlig fremden Eindrücke, in Bezug auf die Vorbereitungen, die mich entfernt an den Maidan-Platz in Kiew erinnern.

    Aber schlußendlich sind mir solche kolletiv-physischen Massenbewegungswellen dann doch lieber. Schließlich ist ja am Aschermittwoch alles wieder vorbei.

    Willkommen zurück im Büro! :-)))

    Liebe Grüße
    Volker

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    1. Hallo Volker,
      ja, in der fünften Jahreszeit drehen sie hier durch und an einem anderen Rad... Aber natürlich lieber dieses Rad mit unseren Kamellen-Wurfgeschossen als scharfe Munition!
      Danke für die freundliche Wiederaufnahme im Kreise der Werktätigen ;-) !
      Liebe Grüße
      Elke

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  4. Kaum zu verstehen, dass du als echte Rheinländerin dich nicht ins Gewühl stürzt.

    Auch ich lebte mein halbes Leben mittendrin, aber im Zuge des Älter werdens ließ der Drang nach, unbedingt dabei zu sein, im Gegenteil, ich suchte das Weite. Du hast die Zeit genutzt, um deine Kreise fast ungestört zu ziehen.

    Hier im Norden im übrigen - tote Hose - auch komisch, aber wir haben ja das Fernsehen, das uns Tag und Nacht mit versorgt - Morgen ist alles wieder vorbei...................

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    1. Bin zwar hier geboren, aber nur zur Hälfte mit rheinischem Blut versorgt. Genau, manchmal ist es ganz nett, aber das lässt dann auch nach, zumal ich Alkhoholisches auch nur in Maßen genieße und nicht in Unmengen kippe.
      Karneval im TV, naja, das ist dann so wie einen Marathon im Fernsehen zu schauen - kein Vergleich mit mittendrin.
      Liebe Grüße
      Elke

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  5. Liebe Elke,
    hilfe, das sieht ja nach Großkampftag aus bei dir!!! Da bin ich froh, dass sich bei uns der "Fasching" auf einen Umzug am Dienstag Nachmittag hier im Ort beschränkt, der von vielen dann noch als Anlass für einen feuchtfröhlichen Abend genutzt wird!

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  6. Liebe Doris,
    ja das TV zeigt ja nur die Sonnenseite. Dienstag sah es bei uns im Ort dann aus wie nach einer Schlacht mit Plastik und Kartons.
    Nun gut, einmal im Jahr muss man das ertragen.
    Liebe Grüße
    Elke

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