Laufend lesen

Sonntag, 19. März 2017

Baggereien

Angesichts des Wetters drücke ich mich ein wenig ums Loslaufen herum. Sturmböen bis 50 km/h sind angekündigt. Und da ein langer Trainingslauf?
Was solls, bevor die Bedenken Überhand nehmen, renne ich einfach mal los.

Möchte nochmals an eine Stelle des Tagebaurands, die sich leider ziemlich verändert hat.




Doch zunächst ein Stück Waldlauf. Gibt wunderbar Windschatten. Dennoch pustet es mir das Röhren der Motoren und den Streckensprecher des Erftlandrings ans Ohr, Kartrennen sind angesagt. Da können die Vögel mit ihrem fröhlichen Zwitschern kaum mithalten.







Und dachte ich noch, ich kenne mich hier aus, habe ich mich dennoch verfranzt und stehe plötzlich vor einer großen umzäunten Fläche. Die ehemalige A4, die hier bepflanzt wurde. Dann gibt das wohl Hoffnung, dass wenigstens ein Stück dieses Waldes erhalten wird.








Doch bald stehe ich dort, wohin ich wollte. Das hier war noch vor einem Jahr ein lauschiger Waldweg. Jetzt eine Wüstenei.













Ich bin recht nahe am Rand des Tagebaus und nutze die Gelegenheit zum Fotografieren. Nun ja, ein  Stück weiter zurück lag so etwas im Matsch am Wegesrand, das könnte ein Verbotsschild gewesen sein, lag auf dem "Gesicht". Ich fühle mich aber nicht für Aufräumung zuständig. Daher gefällt mir der Anblick nicht ganz, der mir beim Rückweg ins Auge springt: Von ganz hinten, wohin ich nun wieder zurück will, kommt ein Sheriff-Auto auf mich zugefahren. Das ist aber ein unpassender Moment. Gerade noch kann ich die vermeintliche Schildstelle erreichen und gleich dahinter in einen Feldweg einbiegen, der auf öffentlichem Gelände liegt. Uff! Das Auto folgt mir eine Weile, ich höre die auf den Kieseln knirschenden Reifen hinter mir. Als ich dem Tagebau den Rücken zuwende, dreht er ab, ich sehe ihn aber noch eine Weile immer schön parallel zu mir auf einem anderen Feldweg rollen. Doch für heute habe ich nun ein anderes Ziel: Manheim, das sterbende Dorf. Seit ich im Oktober zuletzt dort war, hat sich sicher etwas geändert. Und das hat es in der Tat ...

Wie kaum anders zu erwarten, noch mehr leere Häuser.








































Und immer wieder abgemeldete Autos vor den Häusern. Den Sinn verstehe ich immer noch nicht.











Ich komme an den Dorfrand und trostlose ausgeräumte Vorgärten fallen ins Auge. Doch das sind nur die Vorboten.











An der nächsten Straße hat der Abriss begonnen!
Nun wird es also ernst hier und man kann den Tod des Ortes ab jetzt greifbar miterleben.

























Wie mag das Trümmerfeld wohl auf die früheren Bewohner wirken?
Ein Vergleichsfoto zu diesem Anblick habe ich noch vom März 2016 gefunden:












Orientierungspunkt ist das Haus mit der Dachgaube.










Mir reicht es mit dem traurigen Anblick und ich trabe durch das Dorfzentrum weiter durch einen so gut wie menschenleeren Ort.
An einer Kreuzung kommt just in dem Moment, als ich die Straße überqueren will, ein Auto angefahren. Welch ein Zufall! Der Fahrer gibt mir Zeichen, lässt mich passieren, damit ich bei dem "Verkehrsgewimmel" zügig weiterkomme ;-)




Vom Wegekreuz beim Dorfausgang ist nur noch der Sockel übrig. Hoffentlich fand es einen schönen Platz am neuen Ort.
















Auch der Friedhof hat sich weiter geleert. Ja, auch diese Angehörigen ziehen mit um.

Inzwischen habe ich rd. 14 km absolviert. Ein kleiner Tiefpunkt stellt sich ein. Mein Plan war, möglichst weit dem Wind entgegen zu laufen, damit er mich dann gnädig für die restliche Strecke unterstützen möge.
Weiter westwärts bedeutet nun, den Radweg neben und oberhalb der neuen Autobahn zu nehmen, ziemlich exponiert und genau dem Wind entgegen. Ich trippele vor mich hin und genehmige mir die eine oder andere Gehpause, ohne die käme ich ohnehin nicht auf den Plan-Schnitt von 7:54 Min/km. Auf diesem Weg bin ich ziemlich für mich, bei dem Wetter bleiben die Radler daheim. Wenigstens kommt nicht Nasses von oben, ja hier und da blitzt sogar ein knappes Himmelsblau zwischen den Wolken hervor.



Ich kann über den Halbzeittiefpunkt hinweglaufen, aber die letzten 5 km werden zäh. Wenigstens komme ich so dann aber einmal auf die (Trippel-)Schrittfrequenz, die erstrebenswert sein soll. In meinem Wohnort angekommen, drehe ich noch eine Runde im Windschatten der Häuser. 
Und überlege schonmal, was ich als erstes dem Gaumen zukommen lasse. Bäcker ist leider nicht, der hat seine Öffnungszeiten geändert und ich bin zu spät dran. Aber erst ein feines Radler und dann ein Bananenshake mit Limette munden mindestens genauso gut!


12°, 29 km, 3:32:19, (7:19 Min/km), HF 137

8 Kommentare:

  1. Liebe Elke,

    hm - auf der Autobahn und im Wald tobt der Sheriff und im halb abgerissenen Dorf darfst du einfach so rumlaufen? Sehr merkwürdig.
    Ich frage mich ja was die mit den Verstorbenen machen, die nicht mitgenommen werden. Mit so einem Bagger will man doch sicher nicht durch die Leichen graben, oder?
    Ansonsten - tapfer den langen Lauf bei schlechten Wetter absolviert. Der Marathon kann kommen!
    Herzliche Grüße!

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    1. Liebe Roni,
      das Dorf ist ja noch weiterhin öffentlich, und auch in ganz einzelnen Häusern bewohnt. Der Friedhof wird komplett geräumt, zahlen muss der Tagebaubetreiber.
      Ja, ich bin auch froh, den Lauf absolviert zu haben, ich sehe dem Marathon entgegen!
      Liebe Grüße
      Elke

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  2. Liebe Elke,
    das ist voll krass. Da haben Menschen ihr halbes Leben oder vielleicht auch ihr ganzes, in einem Haus in einer Straße in diesem Ort gelebt und nun wird dieser Ort einfach verschwinden. Für mich ist das schwer vorstellbar. Und deine Bilder sind irgendwie bedrückend. Aber wahrscheinlich ist es viel schlimmer, wenn man vor Ort ist.
    Das bei 29 km Laufen die letzten 5 km etwas zäh werden ist vielleicht ganz normal :-)
    Zum Glück lässt der vorgegebene Schnitt ja genügend Gehpausen zu :-)))
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Liebe Helge,
      ja, es ist sehr speziell, dieses Sterben von einst lebendigen Dörfern. Und dieser Ort war einer mit einer sehr gut funktionierenden Dorfgemeinschaft. Sich dort zu bewegen, ist sicher nochmal beeindruckender, als es die Bilder zeigen.
      Ja, die Ermattung am Ende ist wirklich normal, vor allem bei dem Wind. Da wirkt der vorgegebene (und wieder nicht erreichte Schnitt) dann sogar ent-stressend ;-)
      Liebe Grüße
      Elke

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  3. Diese Abrissdörfer deprimieren mich. Lauf doch bitte nächstes Mal woanders ;-)

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    1. Ist ja immer nur ein Dorf, wo ich laufe, die anderen sind weiter weg. Und so oft bin ich da ja auch nicht unterwegs. Da ich aber heute las, dass der Abriss bis 2024 dauert, werde ich aber noch gelegentlich vorbeischauen.
      Liebe Grüße
      Elke

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  4. Liebe Elke,
    "dachte noch, ich kenne mich hier aus" - ach wie bekannt klingt das für mich! :D
    Dieses Orte-, Wälder- und Straßenverschwinden ist ja wirklich besonders. Irgendwie gruselig!
    Aber super, dass du deinen Langen trotz widriger Wetterbedingungen so vorbildlich absolviert hast. :)

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    1. Liebe Doris,
      lach, ja, es scheint besonders verirrungsgefährlich, wenn man MEINT, sich auszukennen, und nicht auf den Weg achtet! Aber wir Frauen können ja sofort umschalten auf Himmelsrichtungsnavigation und schwupps, ist man wieder auf dem rechten Pfad ;-)
      Dieses Wegbaggern von Landschaft, Verschwinden und wieder auftauchen von Orten kenne ich ja seit meiner Kindheit. Aber gewöhnen kann man sich daran nie. Zwar taucht dann woanders Neues auf, z.B. das Gelände beim Papsthügel, aber das ist dann die ersten Jahrzehnte noch recht steril und fast künstlich.
      Kannst Du Dir alles mal anschauen :-)
      Ja, bin auch sehr zufrieden, dass ich das Pensum so gut wie geschafft habe. Der letzte eigentlich fehlende km, den buche ich auf "Wind".
      Liebe Grüße
      Elke

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