Selten bin ich einen Lauf so zögerlich angegangen, wie den diesjährigen Eiger Ultra Trail. Wobei ich selber das Wort "Ultra" nicht wählen würde, denn wir laufen ja nur die 16 km-Variante, die allerdings 960 Höhenmeter hat. Die weiteren angebotenen Läufe (35 km/2500 Höhenmeter, 51 km/3100 Höhenmeter, 101 km/6700 Höhenmeter und 250 km/17000 Höhenmeter) verdienen diese Bezeichnung wahrlich, liegen aber außerhalb meiner Reichweite und sind eher etwas für Spezialisten.
Meine Zögerlichkeit liegt in einem gewissen Schnick-Schnack-Schnuck-Verlauf vor dem Rennen.
Schnick:
Die Anmeldung vor längerer Zeit war leicht, wir hatten Glück und bekamen Startplätze, alle Distanzen bis auf die 250er sind rasch ausgebucht. Je mehr es auf den Tag zuging, umso mehr machte ich mir etwas um die Temperaturen Sorgen. Schon letztes Jahr war es ja sehr warm. Doch das kleine Höhenmeterspezialtraining gab dann wieder ein gutes Gefühl.
Schnack:
Ein letzter kürzer Lauf 4 Tage vorher auf meiner eher mittel profilierten Hausstrecke verlief völlig frustrierend. Schon bei km 2 die erste Gehpause, ich fühle mich völlig ausgelaugt. Vor dem Kirchhügel des Nachbardorfes kapituliere ich und kehre um. Deprimierende 7 km zum Vergessen. Zudem der Wetterbericht für Samstag: Schon beim Start um 9 Uhr 23°, Zieleinlauf (3-Stunden-Schätzung) bei 30°. Fühle ich mich dem gewachsen? Ich liebäugele sehr mit einem Luxusgedanken: Einfach nicht antreten.
Schnuck:
Eigentlich habe ich mich innerlich abgemeldet. Gehe dennoch 2 Tage vorher auf eine Entspannungsrunde, 15 km. Was für ein Unterschied. Es läuft locker, fluffig, leicht. Der Kirchhügel entlockt mir nur ein Lächeln. Das Geräusch der Kiesel unter den Schuhen lässt wunderbare Lauferinnerungen wach werden. So könnte es doch auch 2 Tage später sein... (die Höhenmeter lasse ich mal außen vor). Der Wetterbericht verspricht Start bei 16° und Zieleinlauf bei 23°. Damit lässt sich leben.
Also fahren wir am Freitag nach Grindelwald, das aktuell dank mehrerer Baustellen eine kleine Nervenprobe ist und holen die Startnummern. Es gibt als Goodie diesmal ein putziges Victorinox-Taschenmesserli Edition Eiger Trail und Schlüsselanhänger. Wir nehmen die obligatorische Pasta zu uns und können sogar die Sieger der 250er-Disziplin bei ihrem Zieleinlauf nach 50 Stunden erleben. Beneidenswert, sie sehen keineswegs nach der überstandenen Tortur aus, sondern frisch und fit. Ansonsten trinke ich soviel es geht
Samstag Morgen machen wir uns frühzeitig auf den Weg und lassen das Auto im Riesenparkhaus bei der V-Bahn. Da steht es immerhin im Schatten und es gibt richtig edle öffentliche Toiletten. Den gut viertelstündigen Fußweg hinauf zum Dorfzentrum nehmen wir als Warm-up und sind 6 Minuten vor dem Start im Feld der über 800 Teilnehmer. War mir anfangs noch kalt, spürt man nun schon sehr die wärmende Kraft der Sonne. Da hatte der letzte Wetterbericht wohl doch untertrieben.
Es ist viel los, aufgeregte Läufer, viele Zuschauer, flotte Musik und motivierende Ansagen. Mit fällt ein junger Mann auf, in langen Jeans, Langarm-Baumwollhemd inklusive Kragen und Manschetten zugeknöpft. In der Hand hält er seine Startnummer und hat auch das Legitimationsbändel am Arm. Ob er wirklich so bis zum Ende mitlaufen will???
Schnell geht es los, die Dorfstraße aufwärts, schnell rinnt der Schweiß. Viele geben sofort Vollgas. Ziemlich sinnlos hier. Das lohnt sich nur für Podestanwärter, die breite Masse spart sich sinnvollerweise die Kraft, die wird später am Berg benötigt. Zudem wartet ja noch bei km 2,5 das Nadelöhr. Nachdem sich die breite Dorfstraße bereits auf ein asphaltiertes Bergsträßlein verengt hatte, müssen sich nun alle 837 Läufer auf einen abschüssigen Trailweg in ein Bachtal einfädeln, der maximal 2 Läufer nebeneinander zulässt. Das dauert... Minutenlanges Warten. Mit Studien zur Sportfairness kann man sich die Zeit verkürzen. Die meisten warten brav. Aber natürlich gibt es auch hier solche, die die Warteschlange für unter ihrer Würde erachten und sich ganz vorne reinquetschen.😠Diesen Kamelen wünsche ich einen Zieleinlauf gaaanz hinten.
Hier ein Überblick der Route, inklusive Höhenmeter und Temperatur.
Nach der Bachüberquerung geht es richtig los mit dem Anstieg. Uns erwarten knapp 400 m aufwärts auf 3 km Strecke. Da läuft dann in meinem Umfeld niemand mehr. Ich hatte mir nach meiner ersten Laufstockerfahrung beim 2022-er Eiger Trail ein paar hochwertige Stöcke gegönnt und bin nun mit diesen sehr zufrieden. Sie lassen sich dank einer speziellen Kombination von Halbhandschuh und Klickverschluss am Griff der Stöcke schnell lösen und anklicken, perfekt.
Beim ersten Getränkestand (kurz nach km 3) greife ich gern zu. Wobei das Selbstbedienung meint, denn die Posten kommen nicht nach, haben aber leere Becher zum Selbstbefüllen griffbereit platziert.
Erfrischt geht es an den harten Anstieg. Die Sonne wird spürbarer, aber mit zunehmender Höhe gelangen wir in kühlere Luft, die noch die Sonnenwärme ausgleichen kann.
Etwa bei km 7 erreichen wir den Verpflegungspunkt Berien. Die Lage und Aussicht bei diesem Posten könnte die Illusion wecken, man habe die Anstiege erledigt, doch eine kleine dezente Tafel mit dem Profil und eingezeichnetem "Sie befinden sich hier"-Punkt zeigt, dass da noch etwas lauert... Ich sehe es positiv: Die meisten Höhenmeter sind geschafft.
Das "Schlimme" an diesem Lauf ist die tolle Landschaft. Sobald man den Kopf hebt, gibt es immer wieder phantastische Aussicht zu bewundern. Aber man sollte den Kopf eigentlich nicht heben, denn wurzelige, steinige oder schmale Alp-Trails verlangen volle Aufmerksamkeit.
Da aber ab hier die "Genussteile" des Laufs (Veranstalteraussage) beginnen, gönne ich mir einen "Lust-Fotostopp".
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Links die Eigernordwand |
Nach einer eher ebenen Alpquerung zeigt sich die Ameisenkette weiter vorn beim weiteren fordernden Anstieg auf einem schmalen Trail. Doch das ist dann der letzte wirklich üble dieser Sorte. Manche Läufer sind hier sichtlich erschöpft und schleppen sich mühsam bergauf. Ich kann mich dagegen ganz gut mit Hilfe der Stöcke hocharbeiten.
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Gletscherreste |
Bald danach eine erste muntere Abwärtsstrecke über eine Wiese unter der Seilbahn entlang nach Bort, Mittelstation der Bahn und Ausflugslokalität bei km 9. Wir werden kräftig von vielen Zuschauern angefeuert. Zusätzlich zum Wasser wird Schlauchdusche angeboten, die ich dankbar annehme. Und noch ein wunderbares Highlight, gleich neben dem Posten sind die WCs. Ich habe soviel getrunken, dass ich mir dann doch die kurze Zeit nehmen muss, dieses aufzusuchen, auch wenn es mich nachher einen AK-Rang kosten wird. Egal.
Nach Bort laufen wir mal aufwärts, mal abwärts weiter. Langsam macht sich die Wärme bemerkbar, zumal es ja nun überwiegend wieder dem Tal entgegen geht.
Doch so richtig abwärts geht es ab km 13, am letzten Getränkeposten bei Holenwang. Dort lauert der Einstieg in echt üble Abwärtspassagen. Laut Veranstalter ein "spritziger Downhill". 😂
Zunächst eine rumpelige Alpweide mit nur stellenweise richtigem Pfad, dann steile Feld- und Waldwege. Es ist grausam. Ca. 370 Höhenmeter auf weniger als 2 km Strecke. Da schreien meine für so etwas nicht wirklich vorbereiteten Oberschenkel schon nach der Hälfte um Gnade. Aber es geht ja noch weiter und weiter.
Eine kurze leichte Aufwärtsstrecke stellt eine echte Erholung dar, der Fotostopp auch.
Aber noch ist der Drops nicht gelutscht. Richtung Ortseingang Grindelwald führen viele kleine wieder stark abschüssige Asphaltwegen auf dem letzten km dem Ziel entgegen. Mich wundert, wieviele hier noch laufen, bzw. trippeln können. Ich tue mich damit unendlich schwer. Es fühlt sich an, als wenn Bleigewichte die Knie zu Boden ziehen. Damit verliere ich natürlich einiges an Plätzen im Gesamtklassement, aber was solls, geht nicht anders. Und da ja das Ziel nicht mehr weit ist, beiße ich die Zähne zusammen und gebe, was ich halt geben kann.
Der Beginn des Zieleinlaufs. Straßensperre für jeden Läufer...
... hinein in den Korridor, Kurve rechts...
... Blick auf die Live-Übertragung und Applaus, Linkskurve auf die Brücke (Foto leider verwackelt)...
... Blick von der Brücke und dann die Rampe hinab...
... und unter weiterem Applaus hinein in den Zielbogen.😁
Ich habe mit einer 2:56er Zeit den 9. Platz von 19 in meiner AK geschafft. Bin hochzufrieden, denn gefühlt kostete es weniger Anstrengung als im Vorjahr.
Chris hat mit einer 2:18 sogar den 3. Rang seiner AK (20 Platzierte) erlaufen! Nun grübelt er, wo er die 24 Sekunden auf Platz 2 gelassen habe...
Im Ziel spüre ich erst richtig, wie warm es doch schon wieder ist und dass der Wetterbericht von vor 2 Tagen dann doch daneben lag. Das Thermometer kratzt an den 30°. Wir finden einen Schattenplatz, und beobachten noch eine Weile das Treiben im Ziel, hängen in Gedanken dem gerade Erlebten nach und füllen verlorene Flüssigkeit nach.
Dann geht es straßenabwärts zum Auto. Erster Vorgeschmack auf den Muskelkater der folgen wird.
Heldenschmerzen. 😉