Chris hatte noch aus Berlin einen Glückshormonüberschuss und mir fehlte irgendwie das dortige Erfolgserlebnis... Spätestens, als ich mir die Aufzeichnung im TV anschaue und die tausende glücklich strahlende Gesichter beim Finish sehe wird mir klar - da muss noch was gehen!
Kurzentschlossen melden wir uns in Köln an, zum Halbmarathon.
Ich muss vorausschicken, wenn man gerade erst die phänomenale Stimmung in Berlin vor, während und nach dem Lauf erlebt hat, wirkt Köln ein wenig anders. Etwa wie Whirlpool und Planschbecken...
Zum Beispiel die Startnummernausgabe. Finde den Unterschied:
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Berlin |
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Köln |
Nun ja, in Berlin liefen 47.000 den Marathon, in Köln sind es deren rund 3.800 und 13.800 starten beim Halbmarathon. Die Läufermesse ist zwar flächenmäßig ebenfalls viel kleiner, da hier aber die Stände Normalmaße haben und nicht teils die halbe Halle füllen, ist das Angebot gut gefächert.
Köln feiert dieses Jahr die 25. Auflage des Laufs. Man hat sich eine besondere Überraschung für die Läufer ausgedacht: Konnte man früher seinen Kleiderbeutel am Start bei LKWs abgeben, die deren Transport zum Ziel übernahmen, so muss nun jeder seinen Beutel selber dort deponieren. Start und Ziel liegen über 2 km voneinander entfernt. Das wird uns als Möglichkeit des Warmlaufens offeriert. Man muss nur wissen, dass dazwischen der Rhein fließt und die direkteste fußläufige Verbindung über zwei schmale Wege beiderseits der Eisenbahnbrücke führt. Oder man fährt (heute kostenlos) mit Öffis. Ich sehe im Geiste schon den Stau auf der Brücke...
Da es mit 9° und Ostwind ziemlich kalt ist, entscheiden wir uns, die Brücke nach der Beutelabgabe mit einer Bahn zu queren und so noch einmal in den Genuss einer kleinen Wärmeportion zu kommen. Zwar habe ich mir einen Berlin-Nachziel-Poncho umgelegt, aber nah am Zähneklappern bin ich trotzdem.
Am Start in Deutz ist es eng, es dauert, bis wir in unserem Startblock sind. Ja, "wir" und "unser", wir dürfen aus Block gelb starten, der sogar von vier Blocks der dritte und nicht der letzte ist! Warum das so ist, erkläre ich mir anhand der Pacemaker-Fahnen. 2:45-Pacemaker...beim Halben, ist mir noch nie so aufgefallen. Ich will gut ankommen, rechne aufgrund meiner Berliner Zeit mit irgendwas unter 2:10 und will hier dann auch mal Gas geben. Chris sortiert sich weiter vorn im Block ein. Ich bleibe lieber hinten.
Ich muss leider an dieser Stelle etwas über Kölner und ihre Selbstverliebtheit herziehen. Sorry, aber da ich kein "K", sondern ein "BM" am Auto führe, was dann gelegentlich durchaus kölsche Lästereien nach sich zieht, erlaube ich mir das.
In Berlin gab es Großbildscreens, klasse Musik und motivierende Moderation. Köln verzichtet auf Screens. Es gibt nur vorne Boxen, mindestens das halbe Starterfeld bekommt nichts mit. Gelegentlich hört man weiter hinten einzelne Basstöne, das muss reichen. Immerhin geht der Start zügig, nach ca. 15 Minuten bin ich unterwegs. Kann/Darf/Muss mir aber in Startbogennähe noch Bonmots des Moderators zu Gemüte führen. Der verspricht wegen des Jubiläums "gaaanz großes Kino" (ich komme noch darauf zurück), ganz viel kölsches "Jeföhl" (ok, dieses Mantra strapazieren sie hier ohnehin gerne gebetsmühlenartig) und überhaupt den besten Zieleinlauf in ganz Deutschland. Wie bitte?! Den konnte man letztes Wochenende woanders erleben!
Ach ja, und der Dom sei das Ziel, dessen Spitzen dürfen wir ganz weit hinten (neben dem Hochhaus links) sehen.
Endlich komme ich ins Traben. Wird auch Zeit, den Berlin-Poncho habe ich im Läuferrucksack verstaut und friere furchtbar.
Auf der Deutzer Brücke endlich Sonnenschein. DA! Mir fällt jemand ins Auge und im letzten Moment erkennen wir uns. Es ist Luzia, die Staffelpartnerin von Chris beim
Via Belgica-Marathon im Mai. Wir winken uns zu, auch Tineke steht ein paar Meter weiter. Eigentlich wollte Luzia auch laufen, war aber wegen starken Hustens unsicher und hat zum Wohle ihrer Gesundheit verzichtet. Gut gemacht! Und so kommen wir zu zwei persönlichen Laufbildern.😁
Von der Brücke aus sehen wir rechts den Dom in voller Pracht und links die Kranhäuser, also das alte und die neuen Kölner Wahrzeichen.
Kurz vor Neumarkt. Der Hai, das Wahrzeichen des Köln Eishockey-Vereins, lauert. Hier läuft man später auf seinem letzten km hindurch. Obwohl - ich könnte schwören, der lag früher anders herum und man lief ihm ins Maul hinein und nicht quasi aus der Speiseröhre nach vorne raus... Chris findet, aber genauso laufen doch die Spieler jeweils aufs Feld...😐 Wie gut, dass ich blogge,
2015 habe ich den Vorgänger-Hai ebenfalls dokumentiert. Damals lag er wirklich anders herum.
Beim Neumarkt tauchen wir ein in die gut mit Zuschauern gefüllte City. Tolle Stimmung, viel Anfeuern, Jubeln, Kreischen, wie überhaupt auf sehr vielen Teilen der Strecke. Da stimmt das "große Kino". Die Sonne strahlt und taucht alles in goldenes Licht. Ich bin nun gut warm gelaufen und im Rhythmus angekommen. Kann sogar überholen.
Ein anderes Kapitel des großen Kinos ist die Musik. Ein düsteres, denn "richtige" Musik seitens des Veranstalters habe ich bisher nicht wahrgenommen. Bis dahin muss man eben selber singen, gäbe es nicht die zahlreichen Privatinitiativen, Kneipen, Anwohner die ihre Boxen ans Fenster stellen oder gleich an die Straße schleppen oder Amateurbands wie diese hier. Danke euch dafür! Richtige Bands oder Orchester wie in Berlin gibt es nicht.
Universitätsstraße, etwa km 5. Das erste Begegnungsstück. Rechts kommen uns dicht an dicht Läufer mit 3 km Vorsprung entgegen.
Lindenthal. Die Sonne lacht, es geht mir gut. Ich überhole und überhole.
Die blaue Linie ist in Köln eher blasses Kino.
Ah, und bei km 7,5 die erste Band, die mir hier engagiert scheint.
Wieder Universitätsstraße, diesmal mein km 8 und auf der anderen Seite die hinteren Läufer. Der 2:45-Pacemaker muss arg trippeln, um sein Tempo hinzubekommen. Aber alle, die um ihn herum sind, quälen sich genauso wie die Schnellen, jeder auf seinem Level. Unter der Brücke jubeln sich alle lautstark zu, des Echos wegen.
Tja, und da nicht alle die Beutel-Überraschung wahrgenommen haben, müssen einige notgedrungen ihr Päckchen tragen...
Zum türkisfarbenen Finisher-Shirt links im Bild sage ich nichts. Die gab es letzten Sonntag,, an der Spree...😒
Vor diesem Café auf der Berrenrather wird beim Lauf immer Alleinunterhaltermusik geboten, die heutige schmachtende Weise passt irgendwie zu diesem sonnigen Sonntagmorgen.
Aber, Thema kölsches Jeföhl, es geht auch anders. Der Herr in rot schmettert hingebungsvoll eine der großen kölschen Hymnen, Bläck Fööss (Die nackten Füße) mit "En unserem Veedel" (In unserem Viertel). Hier ein frühes Originalvideo:
Link. Ein Loblied auf den Zusammenhalt im Viertel, Rosamunde Pilcher auf Kölsch quasi. Bevor ich dazu in läuferischen Tiefschlaf falle, laufe ich lieber schnell weiter.
Der Herkunftsladen der meisten unserer Schuhe bietet Kontrast:
Brings mit "Polka, Polka, Polka", eine jüngere Linie kölschen Liedgutes. Zackiger Rhythmus, da kommt man wieder auf Touren! Ist wahrscheinlich für Nichtkölner ohnehin leichter verständlich. Im Geheimen frage ich mich nur, warum der Refrain "vom Rhein bis an die Wolga" noch nicht auf politische Korrektheit untersucht wurde...
Inzwischen habe ich km 11 hinter mir. Die Beine vermelden Auslastung. Aber sie müssen noch weiter. Wie immer bei Unter-Marathon-Distanzen ist und bleibt mein Magen völlig unauffällig. Einerseits prima, andererseits ärgert es ein wenig...
Wieder nähern wir uns der City, dem Rudolfplatz, wo man ab km 12 dann wirklich großes Kino erlebt. Menschenmassen, antreibende Musik, Remmidemmi.
Teils stehen die Zuschauer bis in die Strecke hinein, ähnlich wie bei der Tour de France. Schwierig, als Läufer da hindurchzukommen, fast grenzwertig.
Am Friesenplatz ein Sponsorenhotspot. Kurz geht es durch einen Tunnel mit Discolichtern.
Danach kurzer Blick auf den Fernsehturm ...
... bevor wir durch Ehrenfeld traben (km 14 und 15), wieder mit viel hausgemachter Stimmung.
Hier wurde früher 4711 gebraut.
Heute ist das Viertel eher bekannt für die nicht unumstrittende Kölner Moschee (wo der Muezzin laut vom Turm rufen darf).
Einerseits wünsche ich mir langsam das Ziel herbei, andererseits überhole ich immer noch mehr, als dass ich selber überholt werde. Das ist irre und gibt wieder Schub.
Auf dem Hansaring, km 17. Nur noch 4 km. Ich stelle sie mir auf meiner Standardrunde daheim vor. Quasi einmal ums Feld, ist doch kaum noch was!
Das
Hansahochhaus (mit Aufschrift "Saturn"). Heute kaum noch beachtet, zu seiner Zeit, 1925, architektonisch Avantgarde und kurz das höchste Hochhaus Europas! Zu meiner Jugend DAS Mekka, denn hier gab es fast jede Schallplatte die lieferbar war!
Wieder auf den "Ringen". Der Lieferwagen bietet eine Tauschaktion "Alte Schuhe gegen neue Schuhe". Keine Ahnung, wie das gehen soll, mitten im Lauf?
Nochmals Rudolfplatz, nun km 19. Wir passieren die mittelalterliche Hahnentorburg. Im Keller des Neubaus rechts befindet sich ein Supermarkt mit römischen Stadtmauerresten, die dort beim Neubau gefunden wurden. Da muss ich unbedingt noch hin! Aber nicht heute.
Denn es wartet ja noch ... der HAI! Erstmals laufe ich hindurch. Und dann - der letzte km!
Es geht durch die Hohe Straße, ein Teil von Kölns Fußgängerzone. Der Dom grüßt. Aber wer dem Slogan "Der Dom ist das Ziel" glaubt wird enttäuscht, denn um dorthin zu gelangen, muss man sich von Dom abwenden. In Anlehnung an Greenwashing könnte man das "kölsches Domwashing" nennen...
Meine Beine sind ganz schön schwer, aber ich kann auf den letzten Metern doch noch einen kleinen Gang zulegen.
Die echte Zielperspektive, ganz ohne Dom. Meine Kamera weigert sich, auch nur ein gutes Bild zu machen😕.
Trotzdem laufe ich stolz und mit Freude über den Teppich. Ist zwar nur ein Halber, aber ein gefinishter. 2:06'er Zeit. Gefühlsmäßig hätte ich das Ergebnis etwas besser vermutet, wie es hier auch schon früher klappte. Aber man wird ja auch nicht jünger. Und wenn ich sehe, dass kurz vor dem Ziel und direkt dahinter mehrere Läufer am Boden liegend von Sanitätern versorgt werden müssen, kann man die Wünsche auch ruhig niedriger hängen. Aus den 9° am frühen Morgen sind es nun knapp 20° geworden. Das Publikum trommelt feste auf die Banden - tolle Stimmung!
Nur wenn man sich im Ziel umdreht, sieht man die eindrucksvollen Türme. Der Dom ist nicht ganz das Ziel, aber es liegt gleich dahinter.
Ab hier ist es in Köln aber noch nicht vorbei. Der Nachzielbereich ist, so meine Meinung, furchtbar. Man kommt vor Menschenmassen nicht voran. Wir hier schnell weg will, hat schlechte Karten.
Die Medaillenausgabe ist gaaaanz hinten bei dem rot-weißen Bogen unter den Bäumen. Alle Finisher schieben sich in 4 Gängen zwischen Drängelgittern voran, in Miniminischritten. Es ist enger als in der Startaufstellung, nichts für Leute mit Platzangst. Und gerade denke ich, was macht einer, dem es schlecht wird? Da kommt plötzlich Unruhe auf, Hilferufe, Gestikulieren. Ein Läufer ist kollabiert, aber wegen der Massen und der Gitter brauchen die Sanitäter sehr lange, um hinzukommen.
Und natürlich werden Handys draufgehalten, gaaanz großes Kino. 😡
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Zu den Medaillen 100m anstehen. |
Es folgen die Stände mit Getränken und Nahrung. Ähnliches Gedränge. Mit großer Mühe komme ich an einen Becher Schorle, mehr erwische ich nicht bzw. müsste dafür Schlange stehen. Ich möchte einfach nur gern schnell hier raus. Aber es dauert gefühlt endlos und geht nur zentimeterweise voran.
Irgendwann habe ich es geschafft.
Treffe Chris am vereinbarten Treffpunkt. Glücklich sitzt er in der Sonne und freut sich über eine 1:45er Zeit, super.
Wir gehen zur Bahn (kostenfreie Fahrt im Verbundgebiet 😀) und fahren zufrieden heim. Diesmal beide Teile unseres Haushalts. Hätte das nicht letztes Wochenende in Berlin auch so sein können...?