Laufend lesen

Dienstag, 8. Oktober 2013

Grabesruhe an der Friedhofsmauer / mit Ergänzung

(Am Postende sind Bilder ergänzt)
Noch 5 Tage...
Mein Plan verlangt heute 4x2000m Intervalle in 5:38 Min/km, dazwischen 6 Min Pause.
Ich habe das Gefühl, genau das brauche ich diese Woche als Anregung. Aber dann muss ich  das Training erneut im Rahmen einer Dienstreise unterbringen. Also heute Morgen daheim aus der Tür, Mittags in Berlin gespeist, und vor der Übernachtung in Halberstadt/Sachsen-Anhalt noch den Lauf untergebracht. Wieder einmal ein Tag mit Kontrasten.

Da ich Halberstadt nicht kenne, habe ich zuvor im Netz den Stadtplan studiert. Für die Intervalle scheidet die Innenstadt aus, denn Ausbremsung durch Ampeln kann ich nicht gebrauchen. Doch dann fällt mir der sehr große Friedhof am Stadtrand ins Auge, wo es eine längere ruhige Straße und auch ein Wohngebiet gibt. Das sollte doch klappen, denke ich mir. Als ich ankomme, dämmert es bereits. Doch ich habe vorgesorgt und meine Stirnlampe dabei. So laufe ich dann los durch den unbekannten Ort. Was nicht ganz einfach ist, da die Gehwege hier in teils sehr schlechtem Zustand sind und reine Stolperfallen darstellen. Schon auf dem Weg vom Bahnhof zur Pension holperte und ruckelte mein Rollkoffer nur so hinter mir her. Dazu der Anblick der Plattenbauten, teils trostlose Hinterlassenschaften aus früheren Zeiten - wie es wohl sein mag, hier zu wohnen? Die Innenstadt scheint noch ein paar sehenswerte Flecken zu haben, aber die kann ich erst morgen sehen. Meine Pension erfreute mich zunächst von weitem, ein wunderschönes Fachwerkhaus, laut Inschriften aus dem 16. Jahrhundert. Doch aus der Nähe ... haufenweise Zigarettenkippen vor der Tür, das Pensionsschild nur noch halb vorhanden. Auf mein Klingeln öffnet .... niemand. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass schon allein die Zimmeranfrage erst nach Erinnerung beantwortet wurde. Auch eine Buchungsbestätigung kam erst nach erneuter Nachfrage. Und nun stehe ich hier im Halbdunkel :-(
An der Tür ist ein Zettel mit einer Handy-Nummer. Ich rufe an und bringe meinen Wunsch nach Einlass vor. Mit maximal sparsamer Freundlichkeit folgt "Ich bin in einer Minute da" (Unterton "...wenns denn sein muss").
Nun denn, das Zimmer ist dann auch für eine Nacht erträglich, wenngleich die Möbel von Rudis Resterampe nicht so ganz meinen Geschmack treffen, und wer weiß, was mir morgen beim Frühstück noch blüht.

Jedenfalls schnüre ich rasch die Schuhe und laufe  los in Richtung Friedhof.  

Die Straße dort und das angrenzende Wohngebiet entpuppen sich als gut laufbares Asphaltrevier, prima!  Also laufe ich entlang der endlosen Friedhofsmauer und dann immer wieder hinein in eine Stichstraße, an deren Ende wenden, zurück zur Einmündung, weiter an der Friedhofsmauer, nächste Stichstraße, usw. und dann wieder von vorn. Dieser Plan lässt sich gut umsetzen, doch es wird ein seltsamer Lauf, denn die Stimmung ist irgendwie eigenartig. Es ist noch vor 20 Uhr, aber so gut wie keine Menschenseele zeigt sich in diesem eng bebauten Wohngebiet, nur 2 Autos sehe ich während meiner Runden. Ich komme mir vor, wie zur Geisterstunde, dagegen ist ja mein Heimatort, der eigentlich ziemlich verschnarcht ist, die reinste Nachtaktivenhochburg! Es ist inzwischen stockdunkel, hier und da leuchtet Licht hinter Fenstern, aber lange nicht überall. Einige Laternen spenden mir Licht. Gelegentlich verbellt mich ein Hund, einige Katzen sehen mir mit großen Augen zu. Einmal will ein Mann in sein Auto steigen, doch beim Anblick einer einsamen Läuferin bleibt er bei offener Autotür erstmal stehen und schaut, als wenn ich 2 Köpfe und 5 Beine hätte... Schade, dass es so dunkel ist, denn die Siedlung scheint ein abenteuerlicher Mix aus Schrebergartenromantik und baumarktbefeuerten Häuslebauerträumen zu sein. Von herausgeputzter Altbebauung, über neuere Fertighäuser, Bungalows, Fachwerkimitate bis hin zu privaten kleinen Trutzburgen (hier bellen die Hunde) ist alles dabei und steht eng beieinander.

Die Intervalle strengen zwar an, doch laufen sie sich recht gut. Dann muss ich das Tempo also nur noch in 5 Tagen ein wenig länger durchhalten... ;-)
Etwa zur Tagesschauzeit habe ich mein Programm durch und trabe zurück zum Hotel, erfreulicherweise  gehts leicht bergab. Ich komme vorbei an einigen alten Fachwerkhäusern, einige in liebevoll restaurierten Zustand, andere schlichtweg als Ruinen - schlimm!
Doch das Seltsamste: Zu dieser frühen Abendzeit ist inzwischen auch die Innenstadt wie tot. 
Kein Autogeräusch, keine Menschen. Würde ich mich verlaufen, ich könnte niemanden nach dem Weg fragen.
Kurz überlege ich, was wohl passieren würde, wenn ich hier einfach mal laut um Hilfe rufen würde. Aber das will ich dann doch lieber nicht wissen.

Und hier noch ein paar optische Eindrücke vom folgenden Vormittag als Ergänzung:















Ca. 14 Grad, total 12.6 km, 1:19:24 (6:18 Min/km, darin 4 Intervalle à 5:38 Min/km), Puls 148

8 Kommentare:

  1. Liest sich ja recht gruselig. Fehlt nur noch, dass Dampf aus der Kanalisation aufsteigt und Patrick Swayze durch dunkle Schattengestalten ins Jenseits gezerrt wird. Aber wir wollen ja jetzt mal nicht übertreiben und die Szenrie von Ghost, Nachricht von Sam, nicht komplett auf Halberstadt übertragen.

    Zumal Dein Trainingsabenteuer zum Glück gut ausgegangen ist :-D

    Das Intervalltempo soll Dein HM-Tempo sein? Puh, nicht schlecht, da müßte ich erstmal ein Jahr mal etwas auf Tempo trainieren um annähernd dahinzukommen.

    Liebe Grüße
    Volker

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    1. Ja, das sollte dann lt. Plan mein Tempo sein. Ich bin dann auch mal gespannt. Eine 2:00'er-Zeit hatte ich letztes Jahr, daher der Plan für 1:59. Wie ich das letztes Jahr hinbekommen habe, weiß ich aber selber nicht. Wie auch immer, ich lass mich überraschen.
      Das Ambiente hier ist wirklich sehr eigen. Der Osten scheint immer noch anders...
      Liebe Grüße
      Elke

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  2. Hallo Elke
    Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen...
    Der Bericht über dein Generalproben-Training, das du im Dunkeln am Rande der unbekannten Stadt absolviert hast verursachte bei mir Gänsehaut!
    Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Tempo-Training unter solchen Umständen nach einem langen, turbulenten Arbeits- und Reisetag so gut gelingt! Aber du warst offenbar bestens vorbereitet und hast dich mutig in das nächtliche Abenteuer gestürzt!
    Ich hoffe, du hast im Hotel aus dem 16. Jh anschliessend auch noch etwas regenerationsförderndes und energiespeicherfüllendes zu beissen gekriegt!?!
    Da dich offenbar nichts aus der Ruhe bringt, bist du bestimmt bestens gewappnet für dein HM-Abenteuer in Köln! Nochmals viel Glück dazu!
    Liebe Grüsse
    Marianne

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    1. Hallo Marianne,
      ja das war wieder eine erinnerungswerte Reise. Der Stadtrundgang heute war dann aber versöhnlicher. Es gibt viel zu sehen, positiv wie negativ. Habe zudem hervorragend und sehr preiswert Mittag gegessen.
      Essen gestern Abend war Fehlanzeige. Es war eine Pension. Aber das war mit vorher klar und ich hatte ein Sandwich gebunkert. Heute Morgen saß ich auch einsam und verlasen ganz allein im Frühstücksraum, die Hausdame zog es vor, sich zu verziehen.
      Ja, der deutsche Osten ist immer noch anders...
      Danke nochmals für Deine lieben Wünsche!
      Liebe Grüße
      Elke

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  3. "Gruselig" fiel mir bei deiner Beschreibung ebenfalls ein - leider ist diese Tristesse nach meinem Eindruck recht typisch für ostdeutsche Kleinstädte. In die Großstädte und die touristischen Zentren ist viel Geld geflossen, aber abseits der "Hotspots" merkt man von Soli&Co. nichts.

    Die Tempoeinheit ist schon ein prima Signal, das ist zumindest meine Erfahrung. Wenn sie dir schwer fiel, wirst du vermutlich recht hart um die sub 2 kämpfen müssen. Aber ich denke, dass du es schaffen kannst. Die Daumen sind gedrückt ... :-)
    Liebe Grüße,
    Anne

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    1. Hallo Anne,
      auch 20 Jahre nach der Wende ist es immer noch der "Wilde Osten", das ist etwas, was mich immer wieder bestürtzt. In Halberstadt sind durchaus auch Gelder angekommen, das sieht man einigen Sanierungen. Aber das steigert dann oft ja nur noch den Kontrast zu den nicht-sanierten Bereichen.
      Danke fürs Daumendrücken!!!
      Liebe Grüße
      Elke

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  4. Oh ha. Ich habe gerade ein paar Tage in Bonn verbracht und aufgrund einer Messe in Köln gab es quasi keine Unterkunft mehr... so bin ich dann in einer Ecke gelandet, die "man" einfach nicht kennen muss. Das gibt es also auch im Westen. Ich hab mich aber grundsätzlich unwohl gefühlt abends im (halb)Dunkeln in dem Stadtteil und deshalb die mitgenommenen Turnschuhe unbenutzt wieder mit nach Hause gebracht. Es kann also auch im Westen so sein - ist aber sicher weniger verbreitet. Good luck on Sunday! Ich lauf ja auch wieder (so die mitgebrachte Erkältung schnell wieder verfliegt) aber nur 10k und das eigentlich auch nur zum Spaß. Aber "eigentlich" sagt alles :) - ein bißchen Ehrgeiz wird schon mit am Start sein. LG, Eva

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    1. Hallo Eva,
      den Eindruck möchte ich nicht erwecken, dass hier im Westen alles ok sei! Nur wenn man dann in einer solchen Gegend gelandet ist, setzt die Wirkung sofort ein... Das ist schade, wenn es Dich in eine solche finstere Ecke verschlagen hat, dass Du noch nichtmal die Schuhe benutzt hast!
      Was und wo läufst Du?
      Danke für Deine guten Wünsche, meinerseits an Dich natürlich dann auch, egal ob eigentlich oder nicht nur so zum Spaß;-)
      Liebe Grüße
      Elke

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