Der Syltlauf 2020, an den werden wir noch sehr lange zurückdenken. Ein Mix aus Champagner (Lauf) und Essig (Corona), wobei der Essig stündlich zunimmt. Wie also dies in einem Post darstellen...?
Ich mache es einmal nacheinander.
Das Schöne zuerst, der Champagner!
Die Absage des Laufs war natürlich schade, aber durch die behördlichen Anordnungen wegen Corona nachvollziehbar. So auch der Tenor auf der FB-Seite des ausrichtenden Vereins. Doch äußerten auch viele Läufer*innen ihr Vorhaben, dennoch am Sonntag zu laufen. Das war auch unser Ziel. Da Heidruns und Doris' Staffel auch nur noch halbiert vor Ort war, dafür aber mit 2 Autos ausgestattet, planten wir um: Wir würden alle zugleich ab Hörnum loslaufen, dafür jeder so weit er/sie mag oder kann, und der Transport konnte privat statt mit den ausfallenden Veranstalterbussen sichergestellt werden.
Schon auf der Fahrt nach Hörnum, dem Start, kamen uns viele Läufer entgegen, die sich bereits auf die Strecke begeben hatten. Also kein Start Punkt 10 für alle, dafür ein entzerrtes Feld.
Wo sonst die Startlinie ist, eine überschaubare Situation, doch insgesamt waren viele Läufer unterwegs, fast wie beim echten Lauf.
Kurz noch ein kleines Gruppenbild. Leider fehlen Monika und Barbara, die noch nicht vor Ort sind. Da wir allerdings keine warme Kleidung dabeihaben, möchten wir uns nicht unnötig erkälten und machen uns auf die 33,33 km.
Sogar Greta, heute ganz in schwarz-weiß, wird 2 km dabei sein.
Ein komisches Gefühl ist es. Eigentlich ja nur ein langer Trainingslauf, aber dennoch saß ich mit einer gewissen Nervosität am Frühstückstisch. Irgendwie war man ja auf einen Wettkampf programmiert. Zudem auch noch die doch schweren Beine am Vortag...
Nachdem ich warmgelaufen bin, fühlt es sich allerdings richtig gut an. Herrlicher Starkwind von hinten, 7-8°, und sogar der Nieselregen hat aufgehört.
Ein wunderbares Laufgefühl bricht aus! Auch bei Chris, der mir natürlich enteilt und den ich nur noch kurz von hinten sehe. Immer wieder kommen Läufer von hinten oder ich laufe auf welche auf.
Und schnell ergibt sich die ganz besondere Atmosphäre DIESES Laufs: Alle sind gut gelaunt, man grüßt sich, ruft sich bei Begegnungen muntere Worte zu. Wildfremde Autofahrer hupen und winken, es ist sagenhaft und nie vorher so erlebt! Auch am Streckenrand stehen hier und da anfeuernde Passanten. Da läuft es wie von selbst und bei mir viel schneller als geplant.
Plötzlich laufe ich auf 2 bekannte Gestalten auf. Zur Erläuterung: Heidrun und Barbara starteten von einem Parkplatz 2 km hinter dem Start, hatten also Vorsprung. Und nun erreiche ich die beiden munteren Schnatterinchen!
Da meine Beine flotter wollen, schiebe ich mich langsam vorbei, zumal Westerland am Horizont auftaucht.
Hier steht erneut eine richtig gut anfeuernde Truppe eines Vereins, irgendwas mit "A". Sie bildeten schon bei km 4 ein beidseitiges Spalier mit La Ola für jede*n Läufer*in. Danke ihr Lieben!
Nach ein wenig Street Art in Westerland folgt die Promenade. Im tristen Grau wirkt sie leider sehr unspektakulär und auch die Passanten hier sind doch eher uninteressiert.
Danach kurze Gehpause, um Gel, Salz und Wasser aus dem Rucksack zu holen. Ich war zu bequem, die Trinkblase mitzunehmen. Die von hinten wieder herannahende Heidrun macht sich deshalb sofort Sorgen, allerdings unbegründet. So laufen wir noch ein Stück gemeinsam in Wenningstedt, wo sie wie geplant nach ca. 17 km aussteigen wird. Barbara hat schon in Westerland den Einkehrschwung ins Hotel angesetzt, Doris und Greta haben ihre 2 km längst absolviert.
Nun sind also noch Chris und ich aus unserer Truppe unterwegs, er jedoch längst außer Sichtweite.
Hinter Wenningstedt, nach km 21, wird es anstrengend. Doch hier bandelt ein munterer 69-jähriger Hesse läuferisch an, dessen Frau ihm alle paar km Getränk an der Strecke reicht. So laufen wir gemeinsam über ein kleines Läufertief hinweg. Doch dann bin ich ihm zu langsam (ca. 6:10) und er setzt sich nach vorne ab.
Also genieße ich fortan allein die nun folgende lange Strecke durch Dünen und Heide. Die Waden singen ihr "Lied" und dass sie nun lieber ausruhen würden. Und irgendwie manifestiert sich ein Wunsch nach Radler (Getränk, nicht Begleitung).
Der Himmel zeigt ein paar blaue Streifen, die Luft erfrischt, der Wind drückt und schiebt und schiebt und drückt.
Wunderbar!
Ich kann mich noch vom letzten Lauf erinnern, wie sehr sich diese 9 km zwischen Kampen und List ziiiieeehen. Hier gilt es zudem, die Autostraße zu queren. Beim "richtigen" Lauf sperren dann jeweils Polizisten den Verkehr um den Läufer*innen zügige Querung zu ermöglichen. Heute - keine Polizei, aber 3 pfiffige Herrn älteren Alters. Sie erspähen uns Läufer*innen und drücken im exakt richtigen Moment die Taste der Fußgängerampel! So kann dennoch jede*r ungebremst die Straße ordnungsgemäß bei grün passieren. Super-Aktion von den Jungs und ich bedanke mich freundlichst.
Auf dem letzten km verliere ich nochmals Zeit. Ich sehe einen jungen Mann mit Krämpfen, versuche ihn mit Worten aufzumuntern, doch er leidet. Ich biete ihm Salz an, muss dazu aber meinen Rucksack abnehmen und stehenbleiben. Auch Wasser nimmt er an wie ein Verdurstender, da seines ausgetrunken ist. Ich freue mich, ihm helfen zu können und er bedankt sich herzlich.
Durch diese kleine Stehpause konnte auch ich nochmals durchatmen und Schwung nehmen für die letzten Meter dieser unvergleichlichen 33,33 km.
Das persönliche Empfangskomittee (Heidrun, Doris und Chris) schießt sogar ein Zielfoto.
Meine selbst gestoppte Zeit (3:29:58) muss diesmal Urkunde und Medaille ersetzen. Damit liege ich unter meiner letztjährigen Marke von 3:33 Std. Und wenn man die Samariterpause einberechnet, habe ich mich um rund 5 Minuten unterboten. 😅 Chris darf sich über 2:58 Std freuen.
Richtig rundum zufrieden gehts mit dem persönlichen Chauffeursdienst (Nochmals herzlichen Dank an die Kernstaffel "Esser"!) zurück ins Hotel.
Soweit der Champagner.
Wer nun noch Lust hat, kann den Essig kosten:
Corona, oder genauer die Hysterie, hat nun auch Sylt im Griff. Schon als sich auf der Veranstaltungsseite bei FB viele zu einem unorganisierten Lauf verabredeten, kamen auch solche Kommentare auf:
Als wenn wir Läufer*innen nun schuld sind, wenn der Virus die Insel erreicht. Auch wenn ich die Sorge natürlich verstehen kann, bringen solche Äußerungen etwas? Schließlich reisen ja auch Sylter auf dem Festland und noch weiter umher.
Doch unter der Inselbevölkerung begann es wohl zu gären, weswegen der Bürgermeister einen offenen Brief an Sylter und Gäste schrieb:
Link. Man kann zwischen den Zeilen lesen, welche Diskussionen da wohl liefen.
Heute Nachmittag nun die nächste Stufe, die Landesregierung riegelt die Insel ab und alle anwesenden Gäste mögen zeitnah heimkehren:
Also werden wir Dienstag zurückkehren, für überstürzte Abreise am Montag konnten wir uns nicht entscheiden.
Uns tun all die Leid, die erst heute anreisten, sich auf schöne Tage auf der Insel freuten, und gleich wieder umkehren müssen. Dies gilt auch für die übrigens sehr zahlreichen Zweitwohnungsbesitzer. Aber wenn es hilft, soll es so sein. Die Zeiten sind gerade sehr schwierig.
Dies ist der Stand am Sonntag Abend.
Wer weiß, wie der Essig sich bis Montag Vormittag entwickelt.
Sylt 2020 - es wird uns sehr im Gedächtnis bleiben!