Montag, 26. September 2022

Berlin Marathon 2022

Berlin-Marathon, was soll man dazu sagen/schreiben? Einfach ein wahnsinniges Erlebnis! Meine dritte Teilnahme stand unter einem etwas ungünstigen Stern wegen der zuvor durchlebten Covid-Infektion und dem damit eingeschränkten Training. Wie soll man da trainieren, wie tapern? Ich hangele mich irgendwie durch, achte auf den Puls, lasse mich beim kardiologischen Check beruhigen, der Doc sieht keine Bedenken.
Also stehe ich nun bei ca. 12° in meinem Startblock H, letzte Fraktion der ca. 45.000 Läuferinnen und Läufer. Ich bin zwar mehr als 90 Minuten zu früh, aber nachdem ich erstaunlich gut geschlafen habe, soll nun auch keine Hektik mehr aufkommen. Es gibt auch wie immer in Berlin sooo viel zu sehen, Menschen aus aller Herren Länder, Outfits, nervöse Verhaltensweisen, spannend. Würde jedes in Gebrauch befindliche Handy leise piepsen - es wäre ein ohrenbetäubender Lärm!
Kurz vor 9 Uhr - "Sirius" von Alan Parsons ertönt erstmals heute für die Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer (Link), für mich DIE Erkennungsmelodie des Berlin Marathons, ich bekomme Gänsehaut und leichtes Augenwasser.


Dann geht die Elite auf die Strecke. Es wird spannend! Und wir werden live mit den Bildern versorgt! An der Halbmarathonmarke (ja, währenddessen stehen wir immer noch und warten) liegt Eliud Kipchoge 50 Sekunden unter der Bestzeitmarke!
Und dann wird es ernst. Ich lege gerade noch rechtzeitig meine alten Warmhalteklamotten am Wegesrand ab. Sie werden für soziale Zwecke eingesammelt. Mein Block schiebt sich näher an die Startlinie, 10:30 Uhr auf gehts!






Nach einem letzten lockeren Lauf zum Test meiner Kleidungswahl am Vortag fühle ich mich gut gerüstet, auch im Kopf, und auf dem Weg zur Siegessäule verschwindet auch bald das Fröstelgefühl.


Bei km 6 kommt die Sonne hervor. Irgendwo hier, mit Blick auf Reichstag und Bundeskanzleramt stehen Chris und Kai, aber ich sehe sie nicht. Wir hätten doch besser ein Erkennungszeichen verabreden sollen. Einen älteren Schweizer mit einem kleinen Schweizerfähnli nehme ich in der riesigen Menschenmenge wiederholt am Wegsesrand wahr, der war besser präpariert.
Ich sehe in der Ferne den TV-Helikopter über dem Zielbereich kreisen. Dort läuft sicher gerade die Spitze ein. Und bald erfahre ich auf der Strecke, dass Kipchoge seinen alten Rekord um 30 Sekunden auf 2:01:09 verbessert hat!






Wir nähern uns Mitte. Allerbeste Stimmung auf und neben der Strecke. Langsam wird es auch etwas wärmer und lockt das Publikum.
Mich plagt ein technisches Handicap. Meine Uhr zeichnet zwar brav auf, aber sie zeigt mir leider als Pace nur 99:59 Minuten pro km an! Sehr ärgerlich. Also muss ich zur alten Methode zurückgreifen: Bei jedem vollen km die Laufzeit checken und kopfrechnen. Zeit habe ich ja. Ansonsten laufe ich halt nach Gefühl, immer eins langsamer, als ich könnte. Doch dann lasse ich mich etwas zu flott mitreissen. Aber hallo, ist eben BERLIN!!!




Ein Wort zum Wasser: Berlin wirbt mit grünem Engagement und hatte Refillstationen für Läufertrinkausrüstung angekündigt. Also habe ich meinen Quetschebecher dabei. Vor 4 Jahren gab es Wasserhähne, unter die man sein Gefäss halten konnte. Diesmal sehen die Refillstationen so aus, dass 1 bis maximal 2 Ein-Liter-Plastikkannen bereitstehen und die Posten einem einschenken, wenn sie gerade Zeit haben, sonst Selbstbedienung.... Nun ja, aber da anscheinend kaum jemand solches mitführt, klappt das gut. Zudem sollen die Plastikbecher bitte in Container eingeworfen werden um so dem direkten Recycling zugeführt zu werden. Das klappt .... bedingt.

Refillstation

Hier bitte Einwerfen zum Recycling

Er strebt zum Bügel-Date

Ein Volunteer-Musikant singt ein wunderschönes Lied aus DDR-Zeiten, "Immer wieder wächst das Gras" (Link), passt zur Gegend, in der wir gerade laufen, nördlich des Alexanderplatzes. Hier in der Nähe liegt unser Hotel, ich hatte mir das als Notausstieg gemerkt, aber der Gedanke daran liegt in extrem weiter Ferne.

"Immer wieder wächst das Gras"

Karl-Marx-Allee und Strausberger Patz, km 12. Hier läuft man doch wieder durch altbekanntes Plastikbechermeer. Ich fühle mich erstaunlich gut. 



"I am a believer" / The Monkeys




In voller Originalmontur, bis auf die Schuhe!

Inzwischen durchqueren wir Neukölln. Es gibt so viel zu sehen, zu hören, zu riechen. Es zieht einen hier einfach mit. Mir geht es gut, mein alter Kumpel Magen ist brav und friedlich. An jeder Station nehme ich ein Wasser. Auch Maurten wird flüssig angeboten. Schmeckt mir sehr gut, da nicht so süss wie andere Iso-Getränke.





Leider gerade Pause...

DER Party-Balkon, die ganze Strasse wird beschallt!

Ich wundere mich, wie gut es mir geht und erreiche die Halbmarathonmarke bei 2:12. Viel zu schnell, aber es lief halt. Doch dann machen sich langsam die Beine bemerkbar, dürfen sie ja auch.
An km 22, Hermannplatz, erwischt mich wahrhaftig Chris, ich bemerke ihn meinerseits nicht.



Meine Uhr wird langsam wach und verbessert meine Pace auf nun schon 98 Min/km. Sie wird sich bis zum Ziel noch auf um die 50 Minuten vorarbeiten.
Ich jubiliere innerlich, dass die Kilometer schmelzen, bald schon einstellig!


Am Wilden Eber gerade Pause

Kurfürstendamm, um km 34. Hier habe ich schon früher mal gelitten, aber diesmal geht es besser. Vereinzelt müssen kurze Gehpausen her, aber die halten sich im Rahmen. Chris habe ich ca. 2 km vorher einmalig gesehen, ich konnte an der Stelle gerade läuferisch brillieren ;-)



Leider gerade Pause


Old men rocking

Potsdamer Strasse. Zuvor, auf der Bülowstrasse, war früher immer ein grosser Verpflegungspunkt einer Brausemarke. Den hätte ich herbeigesehnt, gabs aber nicht. Also weiter, zum Potsdamer Platz. Dort gibt es neben aufputschender Musik mit wummernden Bässen auch endlich COLA bei km 38. Die macht wieder etwas munterer!


Der Potsdamer Platz brachte mich hier bei den beiden vorangehenden Rennen jeweils kurz zur Verzweiflung, man ist in der Luftlinie so nah am Ziel und fühlt sich doch so weit. Aber wie so oft, wenn man die Gegebenheiten kennt, lässt es sich bewerkstelligen.
Ich geniesse also die Stimmung am Gendarmenmarkt (km 40,5) und sehe schon innerlich die letzten Streckenabschnitte vor mir. Gedanklich sage ich meinem Magen und dem Universum danke, dass sie mich bei diesem Lauf so wunderbar unterstützt haben ;-)


Nochmals ein letztes kurzes Gehstück, Vorfreude auskosten, ich weiss ja, was nach der letzten Linkskurve kommt. Nämlich das hier:










Noch schnell ein Interview vom Baumstammträgerläufer VOR der Ziellinie



Der letzte km in Berlin ist blankes Gänsehautgefühl. Gleich hat man es geschafft! Zwar nicht genau unter dem Brandenburger Tor, aber dann danach. Da, wo immer noch Tausende Fans stehen und anfeuern, obwohl Eliud Kipchoge schon längst weg ist. Ich ignoriere die etwas schmerzenden Fusssohlen und reisse mich am Läuferriemen, trabe fröhlich durchs Ziel. 4:41! Meine beste Zeit hier in Berlin! Das hätte ich vorher nicht so für möglich gehalten. Aber es zeigt einmal mehr, wie sehr doch der Kopf steuert und die Beine wohl nur Beiwerk sind.
Doch NACH dem Ziel übernehmen die Beine die Kontrolle und ich schlurfe wie eine Achtzigjährige im riesigen Nachzielbereich herum, um meine Verpflegung und einen Poncho zu holen. Doch da bewegen sich auch viele Jüngere ähnlich "eckig".
Die Medaille zeigt übrigens, was für ein Zufall, erneut Eliud Kipchoge. Wie schon 2018. Und auf der Darstellung auf der diesjährigen Medaille hält er seine aus 2018, dem Jahr, als er hier ebenfalls Weltrekord lief, in Händen. Was für ein Zufall, wo er diesmal ja auch wieder den Weltrekord verbesserte. 
Als hätten sie es gewusst, die Berliner...


Mein persönliches Muss-sein-Motiv

Catrina und Manfred, die auch mitliefen, werden sicher auf ihren Blogs berichten, ich möchte nichts vorwegnehmen. Wir starteten aus verschiedenen Blocks, so dass es leider kein ganz gemeinsamer Lauf war, aber ein solcher im Geiste. Vielleicht 2023 auf ein Neues...?

PS: Nach dem Lauf wurden vom Veranstalter schöne Videos über das Wochenende ins Netz gestellt:
Fan-TV: Link
Best-of: Link
Komplette TV-Übertragung: Link