Das Urlaubs-Hauptereignis steht an: Der zweite Jungfrau-Marathon meines eidgenössischen Ehemannes (
Link zur ersten Teilnahme), zugleich der erste unserer Lauffreundin Heidrun. Doris und ich in der Rolle der Sherpas.
Freitag:
Abholung der Startnummern im wuseligen Interlaken. Die Sonne knallt auf das Zelt und drinnen wird es überaus kuschelig warm. Dennoch, soviel Zeit muss sein.
Wir würdigen die Bilder der vorjährigen Läufe, schauen Videos.
Morgen dann, morgen….
Erinnerung an die letztjährige Teilnahme...
Wir parken über Nacht eins der Autos im Parkhaus in Lauterbrunnen, so dass wir morgen nur mit einer Bahn abwärts bis dorthin fahren müssen und dann gleich komfortabel und ungequetscht im Gedränge heimfahren können. Und dann gibt es Pizza in Spiez. Ja genau, das Spiez mit dem Geist, der anno 1954 unserer Fußballnationalmannschaft den Siegeswillen gab...
Samstag:
Anreise per Bahn ab Thun. Ich sorge für leichten Fehlstart, indem ich die Online-Fahrplanauskunft falsch lese und die angedachte Bahn in Wahrheit ein Bus ist. Na dann lieber etwas warten und den nächstmöglichen Zug nehmen.
In Interlaken lässt sich Gänsehaut nicht vermeiden. Die Sonne kommt hinter den Bergen hervor, Menschen strömen vom Bahnhof Richtung Start. Alphornbläser, Fahnenschwinger – unbeschreibliche Stimmung wie in einem Bienenkorb.
Wir Sherpas ergattern Winke-Fähnchen, kleine Treicheln (Glocken) haben wir auch dabei, ihr Einsatz kommt später.
Den Start schauen wir uns an, bis die Besenräder vorbei sind. Leider haben wir unsere beiden Läufer nicht erblicken können.
Während das Feld die erste Runde durch Interlaken rennt, erwischen Doris und ich im hoffnungslos überfüllten Bähnlein nach Lauterbrunnen sogar Sitzplätze. Leider auf der falschen Seite, können aber unterwegs zwischen den im Gang Stehenden hin und wieder Läufer erblicken, die den Weg entlang Bahn und Lütschine laufen, ach was, rennen wie die Wilden. Denn es ist die Spitze. Am Haltpunkt Zweilütschinen schmettert eine Guggenmusik. Als die führende Frau vorbeiläuft, begleiten sie Jubel und Rufe auch aus den geöffneten Zugfenstern. Siegen wird bei den Damen nachher eine Schweizerin in 3:19 Std.
In Lauterbrunnen sind wir froh über frische Luft am Bahnsteig, verpassen gerade die führenden Herren, erwischen dann jedoch die Dame. Hier haben wir bei km 20 einen Treffpunkt ausgemacht. Und bis unsere Läufer nahen, fügen wir unser Treichelläuten in den sowieso kräftigen Klangteppich hier im Ort ein. Die ganze Dorfstraße ist gesäumt von Menschen, eine Wahnsinnsstimmung! Viele Läufer nehmen das strahlend auf und lassen sich gern anfeuern. Manche machen aber auch schon einen ermatteten Eindruck, nach gerade nur Halbzeit und vor den erst anstehenden richtigen Herausforderungen der Strecke. Chris kommt genau im Zeitplan und sieht gut aus. Um ihn am zweiten Treffpunkt, wo er seine Schuhe wechseln will, zu erwischen, muss ich gleich darauf los, während Doris auf Heidrun wartet.
Unser zweiter Treffpunkt liegt kurz vor der Wengener Wand, km 25. Da, wo man schon sieht, wie hoch es nun hinaufgeht, nämlich bis etwa dort, wo im Bild links vor der Wolke einige Wiesen sichtbar sind. Dort liegen die Ausläufer von Wengen. Und dort ist die "Wand" absolviert.
Viele Läufer wissen, was gleich kommt, nehmen noch Getränk auf, gehen, sammeln Kräfte.
Am Eingang eines kleinen Bauernhauses hat der Bewohner eine große Treichel aufgehangen und bearbeitet sie mit dem Klöppel.
Donnng-donnng-donnng.
Da hier die Straße eng ist, frage ich, ob ich bei ihm hinterm Zaun Aufstellung nehmen darf. Huldvolles Nicken.
Donnng-Donnng-Donnng.
Eigentlich wollte ich hier im Wohngebiet nicht auch noch läuten, aber wenn er ja sowieso… Also zücke ich auch mein Werkzeug.
Donnng-DingDing-Donnng-DingDing-Donnng.
Huch, ein weiterer Ton kommt von hinten. Die Tochter des Hauses sitzt nun auf der Bank, hat eine Kuhglocke startklar gemacht. Wir werden zum Trio.
Doris kommt an, nachdem sie Heidrun abgepasst hat. Auch sie zückt ihre Treichel.
Voilà, ein Quartett.
Plötzlich steht da ein asiatisches Wesen, ich kann nicht genau erkennen, ob Mädchen oder Junge, schaut etwas scheu, hebt beidhändig eine Kuhglocke und stimmt zaghaft ein.
Donnng-Dingeldingding-Donnng-Dingeldingding-Donnng…
Unser inzwischen kräftiges Quintett-Getöse zaubert manchem Läufer ein Lächeln ins Gesicht, herrlich! (Das Foto zeigt nur 4, da ja einer fotografieren musste)
Beim Haus gegenüber öffnet sich ein Fenster und ein mürrischer älterer Mann schaut heraus. Ich fürchte fast, nun gibts Ärger. Aber bald steht er mit seiner Frau grinsend am Weg und lässt sich anstecken vom Treiben vor seiner Haustür.
Chris kommt, wechselt die Schuhe, es geht ihm gut. Kein Magendrücken wie letztes Jahr.
Heidrun kommt, mh, sie ist nicht so munter drauf. Hatte schon zwecks Kräfteeinsparung einige ansteigende Passagen zuvor gehend genommen. Will aber sehen, wie weit sie noch kommt.
Wir Sherpas danken nochmals dem Hausherrn, grüßen ihn und rücken ab zum Bahnhof, wo wir erneut Glück und Sitzplätze haben.
Die Bahn quert ebenfalls die Wengener Wand und hält an ihrem oberen Ende, Station Wengenwald (ca. km 30). Hier verläuft die Strecke genau am Gleis und wir sehen die Läufer bei ihrem anstrengenden Tun.
Während ich fotografiere, plötzlich ein Ruf von Doris „Da ist Heidruuun!“.
Ich hämmere im Reflex an die Scheibe, rufe und winke durchs offene Fenster. Da erkennt uns die erschöpfte Angerufene. Fragt, ob der Zug nach oben oder unten fährt.
„Rauf.“
„Ok, ich komme“ Und schwupps steigt sie ein. Schon in Lauterbrunnen hatte sie Zweifel und empfindet unser Treffen nun als Wink des Schicksals. Kommt gleich mit einem anderen Läufer ins Gespräch, der schon weiter unten aufgab. Ich ärgere mich etwas über meinen Reflex. Hätte ich nicht gerufen, wäre sie weiter gelaufen und hätte sich vielleicht in Wengen wieder erholt...
Später wird sie auf einer Kuhweide sitzend das atemberaubende Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau bewundern und vor allem die hunderte kleinen Punkte davor, die Ameisenstraße der Läufer auf dem Weg von Wixi hinauf zu Moräne, oben auf dem Grat abwärts Richtung Ziel. Und ihre Entscheidung nochmals richtig finden.
Schade, trainiert, gefreut, doch es war einfach nicht der Tag dafür. Aber was nicht war, kann noch werden. Wie sagte schon der bekannte rosarote Freigeist seiner Epoche, Paulchen Panther:
"Heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage!"
(2017 ist übrigens Jubiläum des Laufs, 25 Jahre...)
So fahren wir also zu dritt weiter bis Wengener Alp (km 39), wo wir unseren nun noch verbliebenen Läufer treffen wollen.
Unterwegs sehen wir das Feld der Allmend entgegenziehen.
Ausgestiegen bei der Alp läuten wir Sherpas uns wieder den Wolf und feuern die ankommenden Läufer (die hier eher Geher sind) an.
Chris kommt, klatschnass geschwitzt, aber guter Dinge, und wetzt weiter dem Ende entgegen, er liegt nun vor seinem Zeitplan!
Wir drei machen uns auf, zu Fuß bis zur Kleinen Scheidegg. Auf dem Weg ziehen ein paar Alphornklänge von der Strecke zu uns herüber. Von Weitem erkennt man den Zielbereich, in den immer mehr bunte Ameisen einlaufen.
Oben am Ziel ein Wust an Menschen. Der Sieger (3:00:11) ist längst durch.
Inzwischen schlägt das Wetter um, der Himmel bewölkt sich zusehends, Wolken drücken von den Bergen hinab. Aber 14° lassen sich immer noch gut aushalten.
Wir eilen zum Zieleinlauf und keine 3 Minuten später sehe ich das gelbe Shirt meines Mannes heranstürmen. Wie immer hört er meine Rufe nicht. Ich bekomme ihn gerade noch aufs Bild. Mein Mann schaut zwar so, wie er immer schaut, doch die allermeisten, die hier ankommen strahlen vor Glück, es ist schön, diese Zufriedenheit und Freude ansehen zu können.
Er entwischt uns und wir treffen ihn erst vor dem Bellevue-Hotel ein paar Dutzend Meter hinter dem Ziel wieder.
Ermattet, aber glücklich.
5:35, damit 16 Minuten schneller als im Vorjahr! Wir freuen uns mit ihm, beobachten das Treiben um uns herum, erholen uns ein wenig vom anstrengenden Tag.
Nachgehende Analyse zeigt, dass er letztes Jahr die Zeit am Anfang verloren hatte, weil er nämlich zu schnell anging. Der moderate Start dieses Jahr brachte die entscheidenden Körner für die Verbesserung!
Ein wenig konsterniert bin ich, als ich sein Finishershirt sehe. Angesichts der Farbgebung frage ich verdattert, ob er das Shirt für Frauen erwischt habe…?
Nein, dieses Jahr gibt es KNATSCHQUIETSCHGRELLPINKROSA für alle! Das nenne ich mal Mut zur Farbe! Wie man den Gesichtern der Umstehenden entnehmen kann, sind nicht alle so ganz glücklich mit diesem 2016’er-Jahrgang… Aber viele, auch Männer, streifen das so tapfer errungende Stück gleich über. Mit DEM Shirt fallen die diesjährigen Teilnehmer ganz sicher demnächst schon von weitem auf ;-)
Chris geht duschen (WARMES Wasser!) und wir stürzen uns in den Pulk von abreisewilligen Fahrgästen der Bahn. Es sind leider mehr, als der Zug fassen kann, und eine rigorose Bahnsteigfachkraft trennt uns vier unter Einsatz ihres Körpers gnadenlos. Protest zwecklos. Doris und Heidrun kommen nicht mehr mit und müssen oben bleiben, ihre Warteplätze behaupten, bis zum nächsten Zug. Im Gewühle ergattern sie dann 30 Minuten später Plätze.
Wir sind heilfroh, dass wir unten dann im eigenen PKW weiter reisen können, und nicht noch zwei weitere Umsteigeaktionen absolvieren müssen.
Am Abend belohnen wir uns mit Käsefondü und Bergblick.
Welch ein Tag,
welch ein Lauf,
welch ein Erlebnis!
Veranstaltervideo 2016:
Link
Rasantes Video der ganzen Strecke im Zeitraffer:
Link