Donnerstag, 9. Juli 2015

Perspektiven


Immer wieder ein schöner Anblick, wenn ich von einer Dienstreise zurückkomme, in Köln-Deutz in die S-Bahn umsteige und über die Bögen der Hohenzollernbrücke von hinten auf den Dom schaue.
Besonders wenn die Reise stressig war, oder man im Winter auf dem Bahnsteig vor sich hin friert, bin ich's dann nur noch leid und möchte endlich den letzten Teil der Fahrt zurücklegen.
Manchmal, wenn alles entspannt ablief, keine Verspätung, keine Hektik, und so wie diesmal noch die Abendsonne lacht, genieße ich diesen Anblick und freue mich auf daheim. Und heute noch auf eine Ausfahrt mit dem ElliptiGO.

Doch zuvor darf ich noch einen kauzigen Herrn beobachten. Ich setze mich in der S-Bahn auf den Gangplatz einer ansonsten leeren 4-er-Sitzgruppe. An der nächsten Station steigt ein älterer Herr mit Gehstock zu und steuert den Fensterplatz mir gegenüber an. Ich ziehe meine Beine ein, damit er dorthin gelangen kann, was er in einer sonoren Stimme und rheinischem Singsang mit "Dankeschön" quittiert.
Mir fällt sein akkurater Kinnbart und vor allem ein sorgsam gezwirbelter Schnäuzer (Horst Lichter lässt grüßen) auf. Bald angelt er in seiner Jutetasche herum und fördert eine Illustrierte zutage.  Ich achte zunächst nicht weiter darauf, bis mir das etwas vergilbte Papier ins Auge fällt. Und vor allem die Akkuratesse, mit der der Herr das Druckerzeugnis in Händen hält. Sorgsam und mit Bedacht blättert er die Seiten um. Verweilt hier, liest dort. Ich kann einen Blick auf das Cover erhaschen. Eine "Neue Revue". Leider kann ich den Jahrgang nicht erkennen, doch das Titelmädchen mit seinem roten Bikini lässt unzweifelhaft erkennen, dass es sich um eine Ausgabe aus den 1970'er Jahren handeln muss. Auf der Rückseite eine Reklame für "Ernte 23", in dem typischen Orange. Und beim Umblättern sehe ich, dass die meisten Innenseiten noch schwarz-weiß gedruckt sind. Außer ganzseitige Reklame, die ist bunt.
Ach, waren das noch Zeiten, als Farbe in Illustrierten kostbar war!
Das sagt sich wohl auch der Bahnmitarbeiter, der inzwischen hinter dem blätternden Bartträger steht (dort ist ein Ausgang, also Stehplatz) und diesem fasziniert über die Schulter schaut. Mich würde ja brennend interessieren, was so vor 40 Jahren die Themen des Blattes waren. Faszinierend müssen sie gewesen sein, denn der Blattbesitzer blickt sehr interessiert, bildet mal mit den Lippen ein "Ü" oder fährt sich mit einer Hand versonnen um die Kinnbehaarung. Auch sein stiller Mitleser schaut mit großen Augen.
Ein köstliches Bild, die beiden...
Doch leider schon allzubald verstaut der alte Herr sein Schätzchen wieder vorsichtig und ja knickfrei in der Tasche und lässt, als ich erneut die Beine für ihn einziehe, nochmals sein wohlklingendes "Dankeschön" ertönen.
Nee, watt et nit all jitt!

Ich komme noch rechtzeitig nach Hause, um eine flotte Runde mit dem ElliptiGO zu drehen. Es tut gut, nach 2 Tagen sitzen in Bahn und Tagungsraum noch frische Luft zu tanken und den Kreislauf einmal -wenn auch nur kurz- auf Touren zu bringen. Der kräftige Wind tut ein Übriges dazu.





17 Grad, 11,1 km, 36:08, (18,9 km/h), HF 146


12 Kommentare:

  1. Liebe Elke,

    den Blick aus der Bahn auf den Dom finde ich immer schön. Es ist ein nach Hause kommen und ich kann mich daran nicht satt sehen.

    Und Bahnfahren bietet ja immer wieder (aber nicht immer so schöne) Möglichkeiten zu Menschenstudien. Interessant ist - in anderen Ländern wäre der Herr angesprochen worden. Wir beobachten meist und fragen nicht. Würd mich ja schon interessieren, was er mit den Magazinen macht.

    In der Lokalzeit portraitieren sie jetzt Kölner Original unter "Crazy Cologne". Gestern der Büb von Kölle.. so schön. :-) http://www1.wdr.de/studio/koeln/lokalzeit/studiokoeln-lokalzeit100.html

    Viel Spaß weiter mit Deinem "Laufrädchen". :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Anja,
      ja der Dom ist ja für uns in Köln und um Köln herum eine starke Bezugsgröße. Die, Bahn, immer wieder eine Gelegenheit zur Menschenbeobachtung. Gestern war es mal wieder besonders ergiebig ;-) Die Kölner Originale muss ich mir ansehen, danke für den Tipp!
      Liebe Grüße
      Elke

      Löschen
  2. der Dom in seinem Bahn-Umfeld als "zu-Hause-Anker" - ein schönes Motiv und man müsste zählen können, für wie viele (vermutlich sehr viele) Menschen er (auch) diese Bedeutung hat ... Bei mehrfachen "zu-Hause-Wechseln" werden diese Anker loser - aber ein bisschen gibt es sie immer wieder neu

    Als wir Ostern meinem Sohn geholfen haben, seinen frisch übernommenen Laden zu renovieren, plumpste hinter dem festen Zeitschriftenregal eine Pornozeitung hervor, die eindeutig noch von den VorVorbesitzern (die Vorbesitzer waren Zeugen Jehovas und hatten sowas nicht im Angebog ;) verkauft worden und deutlich über 20 Jahre alt war. Wobei in diesem Metier die Themen wohl zeitlos sind und sich nur kaum wandeln, was ich wiederum mangels Vergleichsmöglichkeit nicht beurteilen kann ;) Die meisten Helfer blätterten trotzdem bei passender Gelegenheit neugierig in der Ausgabe herum. Vermutlich rein "historisch-wissenschaftliches Interesse" *s*

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. LIebe Lizzy,
      das hast Du mit dem "Ankerpunkt" treffend umschrieben. Für mich ist das bei weiteren Reisen der Dom. Ansonsten ziemlich banal der Kreisverkehr von der Autobahn kommend am Ortseingang... So hat halt jeder seine Memories...
      Das mit der Zeitung bei Deinem Sohn ist ja auch ein Knaller! Natürlich aus literaturhistorischem Interesse :-)
      Liebe Grüße
      Elke

      Löschen
  3. Heimkommen ist immer wunderschön. Und jeder hat den Ort an dem er merkt wieder zu hause zu sein. Ein herrliches Gefühl.

    Ich habe vor einiger Zeit bei meinem Opa im Keller was gesucht und dann ein Wochenblatt von 1985 gefunden. Gut, da liegt auch noch Wein, Konserven und Marmelade die sehr alt ist, aber das ist vielleicht ja noch genießbar :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Markus,
      ich finde es schön und wichtig, solche Punkte zu haben, und sich immer wieder neu zu freuen.
      Marmelade aus 1985 - da wäre ich skeptisch. Beim Wein käme es drauf an. Einfach mal probieren ;-)
      Liebe Grüße
      Elke

      Löschen
  4. Das ist ja ein nahezu poetischer Post. Sehr schön zu lesen, liebe Elke.

    Solche Begegnungen sind spannend, speziell warum der Herr ausgerechnet so einen alten Schmöker dabei hatte. Und dann auch noch der heimliche Mitleser, köstlich!

    Ein schönes Wochenende Euch beiden und liebe Grüße
    Volker

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Volker,
      ja manchmal bricht diese Ader mal durch. Die beiden Leser waren aber auch zu schön zu sehen. Hätte ich gern fotografiert, fände ich aber zu aufdringlich.
      Euch auch ein schönes und hitze-erträgliches Wochenende!
      Elke

      Löschen
  5. Liebe Elke,
    ach solche Erlebnisse sind doch immer wieder eine Bahnfahrt wert! :D
    Ich konnte mir die Beiden bildlich vorstellen, so gut hast du sie beschrieben! Und der Punkt, an dem man auf einer Heimfahrt das Gefühl hat "zu Hause" zu sein, ist etwas wunderbares! :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Doris,
      die schönsten Geschichten schreibt immer wieder das Leben...
      Und ja, solche Ich-bin-gleich-daheim-Punkte kennen wir vielleicht alle...?
      Liebe Grüße
      Elke

      Löschen
  6. Liebe Elke,

    sehr besondere Anblicke beschreibst du heute! Zum Herrn mit der alten Illustrierten sag ich mal nichts ... zu den Heimkomm-Punkten schon: Wenn ich nach Trier komme, ist es die Überquerung der Mosel (aus Richtung Koblenz) bzw. das Passieren der Abtei St. Matthias (aus Richtung Saarbrücken). Schön, dieses heimelige Gefühl! :-)

    Liebe Grüße,
    Anne

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Anne,
      ich finde es immer wieder interessant, was man alles so sieht, wenn man darauf achtet. Ja und wahrscheinlich hat jeder solche "Heimkommpunkte"...
      Liebe Grüße
      Elke

      Löschen