Sonntag, 12. September 2021

Kultur-Tour

35 km in 7,5 Stunden - wahrlich kein Bestwert. Aber heute kommt es auf den Inhalt an! Zum Tag des offenen Denkmals bietet unser Heimatverein eine geführte Radtour für 30 Teilnehmer an. Passend zum Herbstmotto im Kreis, dem jüdischen Leben in unserer Region, führt unsere Route zu Friedhöfen, ehemals jüdischen Wohnhäusern und anderen relevanten Punkten unserer Stadt.

30 km, für Elli eigentlich keine große Nummer, doch als ich die Armada der Akku-bepackten Zweiräder sehe, kommen leichte Zweifel hoch. Aber die erweisen sich als unbegründet. Es geht gemütlich zu.

Immer wieder nutzen Mitradler/innen die Gelegenheit und befragen mich zu meinem seltsamen Gefährt. Ich erkläre gern, was ich da fahre. Für mich neue Fragen sind allerdings "Und wo setzen Sie sich dann unterwegs?" und "Wo ist denn der Akku?"

Nach der ehemaligen Kerpener Synagoge (heute Wohnhaus) erreichen wir eine Stelle, an der im vergangenen Jahr Stolpersteine niedergelegt wurden. Das Haus der 1930er steht nicht mehr. Einer der Bewohner überlebte im französischen Exil, baute sich dort ein neues Leben auf und legte seine Erlebnisse in Buchform nieder. Sehr beeindruckend.

Weiter geht es nach Brüggen. Hier erwartet uns eine kleine Überraschung, denn ein teilnehmendes Ehepaar hat für alle Kuchen gebacken. Dies, obwohl in ihrem Keller noch die Trockner laufen, die die Folgen der Überschwemmung beseitigen sollen. Unterwegs sehe ich einen interessanten Bildstock, leider kann ich nicht stoppen zum fotografieren (To-do für später). Nach einer ehemaligen jüdischen Metzgerei halten wir bei einem früheren jüdischen Kaufhaus.


Den dortigen jüdischen Friedhof können wir um ein Haar nicht betreten, das Tor ist verschlossen. Doch wir finden einen Weg über die Mauer. Und nachdem alle darüber gehievt wurden, entdeckt eine Teilnehmerin, das auch ein bequemer Schleichweg ebenerdig existiert. 😆


Weiter geht es mit einer weiteren kleinen Rast unterwegs nun zu unserem eigenen Ortsteil. Zunächst zum hiesigen jüdischen Friedhof, wo wir wie bisher auch an allen Haltepunkten Interessantes, Wissenswertes und vor allem nachdenklich Stimmendes erfahren. 



Vor der Weiterfahrt (immerhin sind rund 25 km absolviert) Einkehr zu Kaffee und Kuchen.
Im Dezember werden hier weitere Stolpersteine verlegt, den Termin werde ich mir nicht entgehen lassen. In diesem grauen Haus war früher eine große jüdische Metzgerei. Auf deren großem Areal (Schlachthaus, Viehställe, etc.) stehen heute Mietshäuser.


Wir schließen den geradelten Kreis und kehren zurück nach Kerpen. Auf dem dortigen jüdischen Friedhof begegnen uns einige Namen von Familien wieder, an deren Häusern wir vorbeifuhren.






Den Abschlusspunkt bildet das ehemalige Ghettohaus. Dort wurden Kerpener Juden zwangseinquartiert, nachdem man ihnen ihre Häuser und Wohnungen genommen hat. Doch dies nur als Zwischenphase. Von hier ging es per Viehtransporter weiter nach Köln zu den Transporten nach Osten. Niemand aus diesem Haus hat überlebt. Ein authentisches Foto eines solchen Transportes von dieser Stelle zeigt uns die uns führende  Stadtarchivarin.



Da unsere Gruppentour eher langsam war, gebe ich auf den 5 km Heimweg nochmals richtig Gas. Zumal die Sonne sich dem Horizont nähert und es schon langsam frisch wird.
Es war ein sehr interessanter Tag. Nicht ohne Beklemmung. Denn was man zwar aus Geschichtsbüchern kennt, rückt einem doch sehr nah, wenn es mit ganz konkreten Orten, Personen und Ereignissen verknüpft wird. Man sieht die altbekannten Straßen mit anderen Augen.

12 Kommentare:

  1. Liebe Elke,

    eine sehr interessante Tour. Immer wenn man sich mal mit der Geschichte näher beschäftigt, ist es wieder unfassbar. 'Niemand aus diesem Haus hat es überlebt'. Ich hoffe die Erinnerung kann lebend gehalten werden und Schlimmes in der Zukunft verhindert werden.
    Radtour gleich E-Rad? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Irgendwie ist E-Rad für mich gar kein richtiges Rad. Aber du hast dich mit Ellie ja richtig bewegt, wenn auch langsam.
    Liebe Grüße!

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    1. Liebe Roni,
      ja, diese tour werden wir lange im Kopf behalten, ein düsteres Kapitel, das sich vor unseren Haustüren einmal abgespielt hat. Daher finde ich die Stolpersteine einen sehr gutem Weg, die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Schon allein die Diskussionen, die die Verlegungen immer wieder auslöst. Die Bewohner eines der beiden Häuser, an denen im Dezember weitere Steine verlegt werden und die auch getötet wurden, haben keine Nachkommen hinterlassen, also niemand, der ihrer gedenkt. Gerade da finde ich die Steine gut.
      E-Bikes sind hier ein Riesen-Hype. Ich schätze, gestern hatten 80% der Teilnehmenden ein solches Rad. Bei einer 83-jährigen Teilnehmerin in einem Dreirad finde ich das noch gut, weil es sie in ihrer Mobilität sehr unterstützt, aber ansonsten bin ich da auf deiner Linie. Wäre ich für mich allein gerollt, hätte ich das flotter gemacht. Aber so in Gruppe war es auch mal ok im Langsam-Tempo.
      Liebe Grüße
      Elke

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  2. Haha, wo hast du denn die ganze Zeit dein Akku versteckt, liebe Elke?
    Diese Tour hätte ich auch gerne mitgemacht. Vor allem das ehemalige Ghettohaus finde ich eindrücklich. Man stelle sich vor, Menschen zu enteignen, in ein Haus einzusperren (vermutlich unter schrecklichen Bedingungen) und dann auf einem Viehtransporter in den Tod zu schicken. Und das noch sozusagen vor der eigenen Haustüre.

    Danke für diesen Einblick. Ja, es ist beklemmend, aber auch ein wichtiger Teil der Geschichte die wir nicht vergessen dürfen. Ist Chris eigentlich mitgekommen oder hast du es alleine gemacht?

    Liebe Grüsse aus dem sonnigen Zürich!

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    1. Elke13. September 2021 um 13:16

      Liebe Catrina,
      ha, mein Akku ist bio und macht sich heute mit niedrigem Ladezustand in den Beinen bemerkbar, aber nur ein wenig!
      Ich fand die Verbindung von Geschichte mit einer Radtour sehr schön, zumal die Infos aus erster Hand aus den Archiven sehr gut aufbereitet waren.
      Wie du schreibst, man muss sich das alles einmal vorstellen. In der Reichpogromnacht wurde die Synagoge nur deshalb nicht angezündet, weil sonst daneben die Schreinerei mit abgebrannt wäre. Dann hat man stattdessen das Inventar und in jüdischen Geschäften und Wohnungen das Mobiliar zerstört. Das alles von Leuten, die vielleicht früher "gute" Nachbarn waren. Es verschwanden plötzlich Menschen, teils ja auch ziemlich öffentlich, deren Häuser wurden sehr billig verscherbelt. Und keiner stellte Fragen.
      Was fast noch schlimmer ist, wir hörten auch, dass die wenigen Überlebenden und ihre Nachfahren sehr um im Endeffekt geringe finanzielle Wiedergutmachung wenigstens als Ausgleich für erlittenen Vermögensschaden kämpfen mussten und sich teils auch diffamieren lassen mussten. Es ist eine nicht nachvollziehbare Phase unserer Geschichte. Chris und ich haben im Nachhinein versucht uns zu erklären, was in den Köpfen der Menschen vorging, die das taten.
      Chris war auch mit, er hat die Fotos von mir gemacht und auf Bild 10 links ist er drauf.
      Liebe Grüße aus dem spätsommerlichen Rheinland
      Elke

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  3. Liebe Elke,

    eine sehr gute Sache, auch die Verknüpfung von Bewegung und Geschichte. Mit dem Rad erreicht man mehr, bzw. es können auch unterschiedlich Fitte daran teilnehmen!

    Die Stolpersteinidee finde ich auch ganz und wichtig. Leider hatte ich noch nicht die Gelegenheit dabei zu sein. Sicherlich erfährt man dann auch ne Menge vor Ort und es ist einprägsamer, als es nachzulesen.

    Ich hab mich auch immer gefragt, wo dein Akku ist, jetzt ist es ja raus! LOL Hast du für ihn auch ne Schnelladeeinrichtung?

    Auf dass uns diese Erinnerungen erhalten bleiben, damit es sich zumindest bei uns NIE, NIE wieder wiederholt!

    LG Manfred

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    1. Lieber Manfred,
      "Geschichte bewegt" quasi.
      Ich war ja einmal dabei und fand es sehr gut gemacht. Einmal wurde ein Brief von Angehörigen verlesen, einmal waren extra Nachfahren aus den USA angereist. Und man hörte die Geschichte, soweit bekannt, der so verewigten Menschen. Ich finde das auch eine sehr wichtige und richtige Aktion.
      Haha, Schnellladeeinrichtung für meinen Bio-Akku - nein, habe ich leider noch nicht entdeckt.
      Liebe Grüße
      Elke

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  4. Liebe Elke,
    das ist eine super Idee, Geschichte hautnah mit Bewegung zu verbinden. So kommt man aus eigener Kraft (naja - du zumindest) an die Orte und hat immer ein wenig Zeit die Informationen sacken zu lassen, bevor man die nächsten bekommt.
    Wie gut, dass es solche geführten Kultur und Informationstouren gibt und sie so gut angenommen wurde! Ich finde es ganz wichtig, dass diese anonymen Zahlen, die wir alle kennen, Namen, Geschichten, Leben erhalten!

    Hier gibt es ähnliches, wenn auch mit "leichterem" Inhalt. Das Literaturhaus veranstalten jedes Jahr eine LiteRADtour (http://literaturhaus-salzburg.at/liteRADtour_90_97_216.html) zu einem bestimmten Thema oder SchriftstellerIn.

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    1. Liebe Doris,
      das stimmt, die Bewegung zwischen den Stationen konnte man gut zum Nachdenken nutzen. So wie ohnehin diese Tour viel mehr nachwirkt als ein bloßer Vortrag mit Bildern. Es ist so "mittendrin". Genau wie eine literarische Radtour.
      Ich war ja schon froh, überhaupt von dem Angebot erfahren zu haben, denn die Plätze waren limitiert und schnell ausgebucht. Schön, dass das Thema die Menschen heute anspricht.
      Liebe Grüße
      Elke

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  5. Liebe Elke,
    die Frage nach der Sitzgelegenheit zwischendurch finde ich nicht unberechtigt. Nach einem ganzen Tag ohne solche wäre mein persönlicher Akku lange vor Ende der Zeit leer gewesen. Aber du gibst dann gleich nochmal richtig Gas. Respekt!!!

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    1. Liebe Lizzy,
      dass ich durchgehend auf Elli nur stehe, macht mir nichts aus. Ich musste schmunzeln, als wir auf einer Wiese Rast machten und manche der "Normal"-Radler sich mit einem "Endlich mal sitzen"-Stöhner auf den Bänken niederließen...
      Liebe Grüße
      Elke

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  6. Liebe Elke,

    den jüdischen Albtraum auf einmal so hautnah zu erleben ist sicher sehr berührend. Wenn Orte und Erzählungen zusammen fallen, geht das schon nahe. Ich frage mich gerade, ob es hier auch so viele Orte und vorallem so viele Friedhöfe gibt.

    Ansonsten war Elli ja schwer im Einsatz, mußte sogar ihr Trailtauglichkeit unter Beweis stellen. Bekommt jetzt Chris auch seine eigene Elli? Vielleicht im gläsernen Lieferwagen vorbeigebracht? ;-)

    Liebe Grüße
    Volker

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    1. Lieber Volker,
      ihr habt in Oldenburg verhältnismäßig wenige Stolpersteine, da gibt es Listen im Netz. Ich finde, sie machen das Grauen so "greifbar". Bei der Verlegung von einigen war ich ja dabei, es wurde im Rahmen der Zeremonie jeweils über die Familien berichtet. Es schnürt dir die Kehle zu, das zu hören, am gleichen Fleck zu stehen...
      Ja, es gab was nachzuholen mit Elli. Da Chris nun wieder lauffähig ist, braucht es allerdings keine zweite, der gläserne Lieferwagen kann daheim bleiben ;-)
      Liebe Grüße
      Elke

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