Samstag, 1. März 2014

Zu den Schneeglöckchenwolken

Langsam wird es ernst mit den langen Läufen. Heute war die Vorgabe ein Siebenundzwanziger (in 6:40 Min/km)...

Aber "vun nix kütt nix" wie die rheinische Volksseele so zu berichten weiß und so trabe ich dann am Mittag los. Die Erft entlang in Richtung meines Heimatdörfleins. Unterwegs traue ich meinen Augen kaum, als ich dies hier sehe:


Ich meine nicht, die in den Siebzigern einst so beliebten Wohnparkgebäude...



Nein, dieses Detail! Nur wenige Meter von mir weg wartet dieser schöne Reiher, bis ich meine Aufnahme gemacht habe, bevor er sich davonmacht.



An dieser Stelle habe etwa 9 km gelaufen und genehmige mir das erste Energie-Gel. Es tut gut, auch die dazu empfohlene Wassermenge, und ich spüre, dass der Moment dazu richtig war. Sogar mein Magen macht diesmal keine Beschwerden.

Ein Stück muss ich die Erft verlassen, weil sie Privatgelände (ein Gestüt) durchfließt, bevor ich am nördlichen Stadtrand wieder auf sie stoße. Außer einem einsamen Angler treffe ich keine Menschenseele, selbst die Gassigänger scheinen heute frei zu haben.

In Paffendorf steht das Tor zum Schlosspark auf, also nichts wie hinein.


Unter den alten Bäumen blühen die Schneeglöckchen in wahren Wolken!


Der Schlosspark ist ansonsten recht verschlafen,
kein Spaziergängerwetter heute.





Der Park wartet mit einigen
uralten Platanen auf,
hier ein Prachtexemplar!

Der Stamm ist enorm dick.
Ein bestimmtes Detail fällt mir auf und ich gehe näher heran...


Hier war anscheinend einmal eine Tafel mit einer Zahl ... bzw. ist sie ja immer noch. Nur der Baum war nicht so damit einverstanden.
Im Park, der teils nach speziellen botanischen Gesichtspunkte bepflanzt wurde, tragen viele Bäume und andere Gewächse Nummern für entsprechende Hinweistafeln und für den gedruckten Führer.
Dieser Baum gehört zum Altbestand. Nachgepflanzt wurden in den Siebzigern Bäume, aus denen die Braunkohle entstanden ist. Denn Schloss und Park gehören inzwischen dem Stromkonzern, der bei uns auch die großen Löcher gräbt. (Z.B. Link, Link).

Im Schloss ist heute ein Museum zur Historie des Braunkohletagebaus (Eintritt frei, haben wir ja schon mit der Stromrechnung bezahlt), eine Galerie und ein Bistro.

Den Innenhof kenne ich aus Kindertagen noch anders. Damals wurde der landwirtschaftliche Betrieb des Schlosses noch bewirtschaftet. In der Mitte, wo heute die Beete angelegt sind, war ein riesiger Misthaufen, hinten bei der grünen Tür wohnte die Familie einer Schulfreundin, die beiden Torbögen links führten in die Scheunen.
So ändern sich die Zeiten.
Der formschöne Kasten in Edelstahl ist neu, scheint ein Großbildschirm, war aber gerade kein Bild ... oder etwa gar kein Strom...?

Ich besuche noch kurz den Friedhof, der gleich neben dem Schloss liegt und laufe dann eine Runde durch das Dorf, sehe im Geiste noch alles, wie es vor 40, 45 Jahren war. Vieles hat sich geändert. Vieles ist schöner, sauberer, praktischer, aber nicht alles. Insgesamt wirkt es auch steriler.
Meine Großmutter pflegte noch im Sommer den Stuhl vor die Haustür zu stellen und einfach da zu sitzen und zu schauen. Oft leisteten ihr Nachbarinnen dabei Gesellschaft und es wurde geplauscht. Heute würden sie ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen und der Dutt würde vom Fahrtwind der Autos, die durch das Dorf brettern, arg zerzaust...

Hier ist mein Wendepunkt und ich merke, dass ich mir heute ein "Ei gelegt habe". Ich hatte nicht darauf geachtet und die ganze Zeit leichten Rückenwind. Inzwischen baut sich das angekündigte schlechtere Wetter auf. Die Wolken werden dunkler, der Wind bläst mir entgegen. Hätte ich doch die Laufrunde anders herum gelegt, erst entgegen und dann mit dem Wind... Aber gejammert wird nicht.
An der gleichen Stelle wie auf dem Hinweg nehme ich das zweite Gel, bei km 18. "Grüner Apfel" - hatte ich noch nicht, schmeckt echt lecker! Und so mache ich mich auf, am Fluss entlang brav dem Wind entgegen. Nun wird es doch schwer, die Beine laufen eckig. Über meinem Wohnort sehe ich typische Wasserschleier von Wolkenbrüchen. Bitte nicht das, nicht heute! Ich habe keine Plastiktüte dabei, die meine Kamera schützen könnte! Ausgerechnet am windigsten Punkt, wo weit und breit kein Unterstellschutz ist, kommen die Tropfen. Doch ich habe Glück, es bleibt bei einigen Spritzern und ich komme ohne Regennässe heim. Ich lege noch eine extra-Runde im Ort ein, damit ich die 27 km auch ja voll laufe und siehe da, ich kalkuliere aus dem Bauch heraus so, dass genau 10 m vor der Haustür das Soll erfüllt ist. Allerdings nur die km, ich war wieder etwas zu flott unterwegs.

Ich bin ganz gut k.o., aber die heiße Badewanne, leckere Fassbrause und dann ein wenig Kuchen wecken die Lebensgeister wieder.

8 Grad, 27 km, 2:56:19 (6:31 Min/km), Puls 137

10 Kommentare:

  1. Hallo Elke
    Eine Woche nachdem dich die Viren in der Nase gekitzelt haben, ist dir ein toller langer Lauf gelungen! Gratulation zum königlichen Abschluss deiner Laufwoche! Da hat alles gepasst - Ernährung - tierisches Publikum hautnah - die herrliche Schlosskulisse mit den uralten, weisen Bäumen - und wer kann schon durch ein Meer von Schneeglöckchen joggen! Beflügelt ging's offenbar von einem Abenteuer zum nächsten, da konnte nicht mal der Gegenwind stören! Und die Fassbrause (welch ein lustiges Wort :-) hast du dir verdient!
    Gute Erholung und liebe Grüsse
    Marianne

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    1. Hallo Marianne,
      in der Tat, alles hat gepasst. Fassbrause ist ein sehr leckerer Durststiller: Schmeckt wie Limonade mit leichtem Zitronenaroma, sieht aus wie Bier, ist alkoholfrei.
      Liebe Grüße
      Elke

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  2. Schloßbesitzer sind heute die Energiekonzerne, welch ein Sinnbild für unsere Zeit.

    Danke für Deine gedankliche Zeitreise, die hat mir sehr gut gefallen. Das ist muß doch herrlich sein, sich die Orte seiner Kindheit zu erlaufen und in Erinnerungen zu verfallen? Da vergehen 27 km wie im Fluge.

    Liebe Grüße
    Volker

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    1. Hallo Volker,
      ja so siehts aus: Früher echter Adel, heute Geld-Adel... Mit der gedanklichen Zeitreise ist es sicher reizvoll zu überlegen, wie es denn früher so war. Aber wenn ich so sehe, wie viele lange Jahre dieses "Früher" schon zurückliegt, uiuiui,...
      Liebe Grüße
      Elke

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  3. Danke fürs Mitnehmen. Hat Freude gemacht. Wenn es sich ergibt, laufe ich auch schon mal durch meine Kindheit und da geistert so viel durch den Kopf. 27 km... ach seufz. Sehr schön! Da sind Könige aus Energiekonzernen, die Schlösser haben... Bäume, die Schilder verschlucken und große Vögel am Rand des reißenden Flusses... welch märchenhafter Lauf.

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    1. Stimmt, die Geister der Vergangenheit - interessant, wenn man manches mit dem Abstand von Jahren neu betrachtet. Was blieb wichtig, was war vergänglich... Und Geld regiert immer noch die Welt.
      Liebe Grüße
      Elke

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  4. Liebe Elke,
    ein schöner langer Lauf, mit posewilligen Reihern und uralt Plantanen --> herrlich!

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    1. Hallo Doris,
      auf ein Reiher-Foto hatte ich schon länger gelauert. An einem bestimmten Feld stehen immer welche, nur zu weit weg zu fotografieren.
      Liebe Grüße
      Elke

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  5. Liebe Elke,

    die Bilder und Erzählungen dazu lassen die Gegend lebendig werden - ein schöner, kurzweiliger Lauf! 9 Sekunden zu schnell ist ja eigentlich nicht so schlimm, oder? Man muss sich ja auch bei Wettkämpfen immer ein bisschen Zeitpuffer erlaufen, weil die vermessenen Streken 1% länger sind als die offizielle Wettkampfdistanz (ist wohl eine Art Sicherheitspuffer, falls jemand einen Rekord offiziell anerkennen lassen will - dann darf die Strecke natürlich keinesfalls zu kurz sein). ;-)

    Wie sind denn deine Erfahrungen mit Gels? Nimmst du die bei jedem langen Lauf oder jetzt nur einmalig zum Testen vor dem Marathon? Man hört ja auch Stimmen, die davon abraten, im Training Gels zu nehmen, weil der Körper ja "eigentlich" bei den langen Läufen lernen soll, die Energie aus dem Fettstoffwechsel zu beziehen.

    Liebe Grüße,
    Anne

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    1. Liebe Anne,
      hast ja recht,lieber etwas zu schnell als zu langsam.
      Gels sind meine Hassliebe. Ich mag das glibbereige, klebrige Zeugs eigentlich nicht. Merke aber, dass ich ohne nicht über die Runden komme. Daher probiere ich derzeit bei längeren Läufen WANN der beste Zeitpunkt ist und WELCHE Sorte ich gut vertrage. Je nachdem habe ich da Magenprobleme, die will ich ja nicht am Tag X haben.
      Liebe Grüße
      Elke

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