Sonntag, 14. Juli 2013

Bandstraße II - Heimatkunde

Der heutige Lauf ist wahrscheinlich der mit dem seltsamsten Protokoll auf meiner Laufuhr. Denn so oft stehengeblieben und die Pausentaste gedrückt - das gabs noch nie. Und das nicht etwa, weil es Schuhläden, Eisdielen oder Tortenbuffets gegeben hätte, nein, es war nur künstliche Natur... Aber der Reihe nach:

Ich hatte mich entschlossen, das mir bislang noch unbekannte Ende der Bandstraße (Post vom 4.7.13) zu erkunden.
Ich parke nahe des Schlosses Paffendorf, um zunächst noch ein wenig an der schattigen Erft entlang zu laufen. Der Weg führt entlang der Schlossparkbegrenzung.


Bemerkenswerterweise ist der obere Stacheldrahtteil des Zauns nach innen, zum Park hin geneigt, vielleicht, falls Besucher fluchtartig des Gelände verlassen möchten...? Dafür besteht allerdings keinerlei Anlass, denn der Blick in den Park (frei zugänglich) zeigt eine fast verwunschene Atmosphäre:


Weiter geht es der Erft entlang, deren Uferzonen sich hier größtenteils natürlich entwickeln dürfen.


Das sonnige Wetter nutzen heute auch Radler und Kanufahrer.


Nach gut 1,5 km erreiche ich den Punkt, an dem noch vor 1,5 Jahren vorläufiger Schluss am östlichen Ende des nutzbaren Teils der Bandstraße war. Die Brücke konnten wir seinerzeit noch im Bau sehen.

Heute nun Premiere: Ich setze meinen Fuß auf mir neues Terrain.


Aha, der Blick lässt also Weite erahnen. Hinten erkennt man eine weitere Brücke, es folgt eine Treppe und dann findet man sich auf einer Art Plateau wieder.


Dieses Bild ist aus dem Grund sehr bemerkenswert, als es hier vor wenigen Jahren noch völlig anders aussah. All dies, was nun noch an Bildern folgt, ist menschgemachte Natur. Bis zum Kraftwerk am Horizont erstreckte sich ab hier der Tagebau Fortuna-Garsdorf, ein Loch von bis zu 360m Tiefe und einer Ausdehnung von 22 (zweiundzwanzig!) km². Was man also hier sieht, ist völlig neu aufgeschüttete Erde und ganz und gar künstliche Landschaft, an vielen Stellen auch als solche noch erkennbar.

Es weht ein sehr angenehmer Wind, die Sonne brennt nicht zu heiß, neugierig trabe ich weiter. Dieser Teil der Bandstraße präsentiert sich völlig anders, als der süd-westliche. Während dieser eher den Eindruck vermittelt, man laufe durch einen Wald, öffnet sich hier zur Linken eine noch entstehende Heidelandschaft. Der Blick in die Ferne zeigt Ackerflächen.
Doch ein roter Punkt lässt auch schon eine weitere Fortsetzung der Kunstobjekte des älteren Bandstraßenteils erahnen:

Derzeit noch Baustelle:


Hier kommt es zu einer interessanten Begegnung: Ein älteres Ehepaar, das mir auf Rädern entgegenkommt, stoppt. Offenkundig sind sie wie ich auf Entdeckungstour und fragen mich, was denn dort ist, woher ich gerade komme und was DAS denn dort sei? Der Mann ergänzt, also das sei aber nichts für Kinder, da müsse man ganz andere Spielmöglichkeiten schaffen. Ich erläutere vorsichtig, das sei kein Spielplatz, sondern ein Kunstobjekt und 3-4 km weiter sei das nächste und dann noch eines, inklusive Informationstafel. "Kunst?! Das soll Kunst sein?!" Seine Frau zeigt sich meiner Ansicht gegenüber recht offen, dass es doch ein reizvoller Kontrast zur Landschaft sei, die Bandstraße hier und da mit ähnlichen Objekten zu ergänzen, ihr Mann kann dafür nicht wirklich Begeisterung entwickeln. Nun ja, das liegt sicher im Auge des Betrachters. Er lässt mich teilhaben an seiner Begeisterung über Grillplätze in Italien, wo das Holz gleich nutzfertig parat liege, was er sich auch als Erlebniselement hier auch vorstellen könne.
Na was mit solchen Grillplätzen hier, in unserem Ballungsgebiet passieren würde, ist zu befürchten: Entweder verschwindet das Holz, oder es wird gleich als ganzer Haufen abgefackelt.
Unsere Unterhaltung streift die bestehende Gesetzgebung zur Untersagung solcher Aktivitäten und der mangelhaften Durchsetzungsfähigkeit der hiesigen Ordnungskräfte. Ich erlaube mir den Hinweis, dass man vielleicht früher, im Elternhaus ansetzen müsse... schwere Kost am Sonntagnachmittag.
Über die kleine Unterhaltung vergesse ich glatt zu fragen, wie es denn auf deren Seite weiterginge, aber das kann ich mir ja auch erlaufen. Doch zuvor ist meine Neugier nicht zu bremsen und stelle mich in den halbfertigen Betonbogen hinein. Er eröffnet eine schöne Perspektive auf die gerade zurückgelegte Strecke:


Und auf der anderen Seite geht's dann weiter:


Links und rechts dieses völlig autofreien Weges "blüht mir so einiges":




Doch plötzlich ist Schluss, der Weg endet abrupt und dachte ich zuvor noch, näher bis zum Kraftwerk zu kommen, so versperrt nun ein Feld und ein letzter kleiner Rest des Tagebaus das schnurgerade Asphaltband.
Es geht nur nach links oder rechts. Ich entscheide mich für rechts, laufe ein Stück an einer bewaldeten Kuppe entlang, schlage dann einen Bogen um das Feld herum und laufe auf einem Feldweg parallel zur Bandstraße wieder zurück. War die Laufperspektive bisher durch das Kraftwerk geprägt, so öffnet sich nun eine endlose Weite.


Inzwischen ist es nachmittägliche Ausflugszeit, ich sehe mehr und mehr Radfahrer und Spaziergänger. Häufig stehen sie, so wie ich, einfach nur da und schauen und versuchen sich zu orientieren. Denn obwohl hier erkennbar ein großes Naherholungsgebiet entsteht, fehlen noch wichtige Details: Hinweisschilder. Momentan funktioniert Orientierung nur mit Pfadfindertugenden und Sonnenstand, sobald man sich von der Bandstraße entfernt hat.
Und zu erkunden gibt es hier sicherlich noch vieles. Ein Segelflugplatz ist schon in Betrieb, es entsteht ein See, von ferne sehe ich eine Grillhütte und vermute auch anhand der erkennbaren Kirchtürme, wie die Wege verlaufen könnten. Doch das soll mindestens einem weiteren Lauf in diesem sehr reizvollen Revier vorbehalten sein, ich vermute aber eher häufigere Wiederkehr.

Zurück geht es zur Brücke und der Erft entlang. Noch ein kleiner Blick in den Schlosspark, der mir aus Kindertagen, als ich in diesem Ort (also nicht im Schloss, im Dorf daneben...) einmal aufwuchs, vertraut ist:


In der Nähe gefallen mir die begrünten Fassaden einer Häuserzeile, die "zu meiner Zeit" noch völlig brav, bürgerlich und bieder daherkam. Mittlerweile ein idyllisches Fleckchen:



Das gelbe Schild sagt übrigens nicht "Ausfahrt freihalten" sondern
                                                        "Freiheit aushalten".... :-)

Der ursprünglich geplante lange Lauf dauerte zwar brutto knappe 2 Stunden, durch die immer wieder eingelegten Stopps waren es am Ende aber "nur" 10,6 km. Doch soviel neue Eindrücke in der eigenen Heimat muss man erstmal aufnehmen...;-)

10,6 km, 1:10 Std., Pulsdurchschnitt 141, Durchschnittstempo 6:27 Min/km.
22 Grad Sonne und Wind.


6 Kommentare:

  1. Menschengemachte Natur - schön, dass der Mensch das wieder herrichtet, was er verwüstet hat. Den Rest gestaltet sich die Natur über die Zeit sowieso wieder wie sie es will.

    So eine Diskussion mit einem solchen Schlauschnacker würde mir ein einem Lauf gerade noch fehlen. Da hätte ich schnell einen langen Schuh gemacht ;-)

    Elke, ich finde Deinen Blog u. a. auch deshalb so klasse, weil er eine Region zeigt, die bis dato unter meinen Bloggerfreunden noch gar nicht vertreten war.

    Sollen die roten Zäune auch Kunst sein?
    Zum Thema Kunst liebe ich den Spruch: Ist das Kunst? Oder kann das weg?

    Das Schöne an der Kunst ist ja, dass sich jeder selber seinen Kopp drum machen kann oder auch nicht.

    Liebe Grüße
    Volker

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  2. Moin, moin,
    ja es ist schon spannend, was sich da so entwickelt. Und im Gegensatz zu früheren Rekultivierungen, wo Bäume wie Zinnsoldaten in Reih' und Glied gepflanzt wurden, lässt man heute der Natur erheblich mehr Freiraum.
    Der Kunst-Spruch ist gut, muss ich mir merken :-)
    Die orangefarbenen Zäune können dann später mal weg *;-)*, das sind Schutzzäune um kleine Anpflanzungen herum, damit das Wild sie nicht gleich wegknabbert. Passt aber im Farbton prima zu den Betonobjekten.
    Danke für Dein Lob zu meinem Blog :-) Irgendwann lass ich Dir dafür mal rosa Schaumküsse zukommen ;-)
    Liebe Grüße
    Elke

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  3. Hmmmmmm, willst Du noch mehr Lob??? :-)))

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    1. Lob erfreut natürlich immer, aber mit den rosa Produkten möchte ich dennoch vorsichtig sein, nachher liest man auf Deinem Blog noch mehr Presswurstgedanken... ;-)

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  4. Eine tolle Entdeckungsreise mit schönen Eindrücken aus deiner Heimat, liebe Elke! Faszinierend, wie sich Landschaften durch Menschenhand verändern - auch wenn so manches nicht "schön", sondern eher "interessant" ist! Gilt für Kraftwerke wie für "Kunstobjekte"! ;-)

    Liebe Grüße,
    Anne

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    1. Hallo Anne,
      danke für Deinen Kommentar. Ja, was hier so alles in dieser Hinsicht passiert ist sicher spannend, "gut" muss man nicht alles finden.
      Liebe Grüße
      Elke

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