Der diesjährige GP Bern, ein Donnerwetter-Lauf im doppelten Sinne.
Meine 8. Teilnahme in Folge, ein Traditionslauf also. Immer wieder laufen wir hier gern. In diesem Jahr gibt es Neuerungen, z.B. kann man aus der ganzen Schweiz kostenfrei per Bahn an- und abreisen, das wäre doch mal ein Vorschlag für die großen deutschen Läufe!
Wie jedesmal Völkerscharen am Stade de Suisse, ich sage immer noch "Wankdorf", 1954 wirkt eben nach...
Kleines Vorher-Bild. Wie noch am Vormittag in Windsor bei der englischen Hochzeit strahlt auch in Bern bei 20° die Sonne und ich bin unsicher, ob das Laufshirt die beste Wahl war. Aber wenigstens habe ich mich für Läufershorts an den Beinen entschieden.
Doch dieses Bild zeigt die Wetterlage bestens. Starke Windböen und das, was dort hinten dunkel droht, werden wir noch näher kennenlernen.
Weitere Neuerung in Bern: Die rd. 15.000 Teilnehmer wurden nicht mehr wie früher in 25 und mehr Startblocks (Startabstand 2:30 Min) eingeteilt, sondern nur noch in 6 Blocks mit 10 Minuten Startabstand. Ich mache mir Gedanken, was mit rechnerisch über 2.000 Blockkamerad/innen eine gute Startposition ist. Vorne? Mitte? Hinten? Schlussendlich gerate ich in die Mitte, zwischen die Pacemaker 1:32 und 1:35.
Erstmals fällt mir auf, dass hier ja gar keine schmissige Startmusik gespielt wird, sondern die Speaker das Feld mit Infosmationen unterhalten. Namentliche Nennung von 37-fachen Teilnehmern, Geburtstagskindern, mitlaufenden Politikern und sonstigen Promis. Im Block vor mir startet die älteste Läuferin, 81 Jahre ist sie. Wow, es gibt großen Beifall dafür.
Endlich geht es los und meine Sorge nimmt Gestalt an, denn nach einem knappen km auf einer breiten Allee müssen sich alle auf einer schmalen Fahrbahnseite bewegen, auf der anderen Seite kommt uns die Spitze bereits entgegen. Dieses Nadelöhr wird noch mehrere km eines bleiben. Ich finde das schlechter als früher, mein Mann hingegen ist mit der neuen Startmethode besser zufrieden.
Am Ende des soeben flott abwärts gelaufenen Aargauerstalden lauern die Bögen, die dann später in der Endphase des Laufs den letzten dann fordernden Anstiegs einläuten. Wie werde ich dann wohl unterwegs sein...?
Aber erst einmal eine der wunderschönsten Passagen, hinein in die wunderwunderschöne Berner Altstadt:
Bei mir läuft es gut, abgesehen davon, dass die Läufer und ihre manchmal plötzlichen Aktionen um mich herum viel Aufmerksamkeit erfordern. Die 1:32-Pacemakerin noch neben mir, das macht mich etwas skeptisch, wie auch der Blick auf die Uhr. Eigentlich zu schnell für mein Gefühl, denn in Bern ist die erste Hälfte die schönere, die 2. Hälfte hingegen ist die härtere. Aber ich lasse mich hinreißen nur nach Gefühl zu laufen, kein Blick mehr auf die Uhr.
Es folgt eine steile Abwärtspassage auf Kopfsteinpflaster ins Mattenquartier, ab da bleibt es länger flach. Man läuft an der Aare entlang.
Mein letztes Foto, km 5,5. Es kommen die ersten dicken Tropfen an. Schon längst war die Sonne weg und der Wind sorgt für Kühlung.
Ab km 6 wird aus den Tropfen Regen. Wir biegen ab von der Aare, es geht anstrengend aufwärts ins Dählhölzli, dort 1 km im schattigen Wald. Plötzlich sehe ich die 1:32-Pacemakerin wieder vor mir, die doch länger außer Sicht war. Schwächelt die etwa, oder ...?
Im Wald sind wir noch regengeschützt, aber ab Thunplatz prasselt es. Angenehm. Zudem geht es wieder abwärts und ich kann die Beine fliegen lassen.
Bei km 10 gehts es über die hoch über die Aare führende Monbijoubrücke. Irgendwie wollten meine Beine an der 1:32-Pacemakerin vorbei.
Aus Regen ist kräftiger Schauer geworden, es setzt Donner ein. Ich nutze den Schwung, denn bald kommt der nächste gemeine Anstieg. Trotz des Regens harren die meisten Zuschauer aus, machen Stimmung und feuern das Feld an.
Der nächste zehrende Anstieg, die Sulgenrainstraße hinauf zur Bundesgasse. Es regnet so heftig, dass das Wasser in Schleiern die Straße hinabströmt und sich kleine Bäche bilden. Immer wieder donnert es dazu.
Am Bundesplatz vor dem Parlamantsgebäude (kurz vor km 13) geht es über den türkisblauen Sponsorenteppich. Inzwischen ist mir klar, dass das hier ein gigantischer Wet-T-Shirt-Contest wird. Ich bin nass bis auf die Knochen, die Kleidung klebt wie eine Rüstung an mir. In den Schuhen steht das Wasser und der Teppich läuft sich wie Sumpfwiese. Bei jedem Schritt spritzt das Wasser, begleitet vom plitsch-platsch-plitsch-platsch der Schritte.
Bei der Bundesbank wird klar, dass auch die Kanalisation kapituliert, riesige Pfützen auf der Strecke. Aber noch nasser können die Füße nicht werden, also hinein mit Schwung, wo es sein muss. Mir macht nur das Kopfsteinpflaster in Verbindung mit dem Haftungsvermögen meiner Schuhsohlen Sorge, aber es geht gut.
Noch einmal kurz die Münstergasse hoch, von der 1:32-Pacemakerin keine Spur mehr. Nochmals abwärts Schwung nehmen auf Gerechtigkeits- und Nydegggasse, denn dann kommt er, mein "Lieblingsfeind" in Bern, der Aargauerstalden. Unten der rechte akustische Empfang mit "Ich wünsch Dir noch ein geiles Leben", und dann Avicii, völlig legales Läuferdoping also. Herrlich, genau das brauche ich! Den Stalden nehme ich laufend, ok, ich gestehe, trippelnd. Aber keinesfalls gehend, diesmal zeig ich's Dir, alter Freund!
Kurz vor oben erschallt die gute alte Helene, "Atemlos". Jawoll, atemlos und nicht kleingekriegt. Noch einmal rechts abbiegen, die letzten Steigungsausläufer. Die Guggenmusikkapelle, die hier sonst spielt, musste auch vor dem Regen kapitulieren. Es spielen nur noch regengeeignete Instrumente, also Trommeln.
Nun noch links auf einen kleinen schmalen Weg. Schon hört man die Zielgeräuschkulisse. Es läuft, die Beine wollen noch was zeigen, ich überhole und überhole.
Letzte Linkskurve, noch 300, 200 m.
Immer wieder toll, der Zieleinlauf, Stimmung, Publikum, trotz des Regens.
Der rote Teppich, noch 20 m, 15, 10.
Da schießt plötzlich ein junger Typ von hinten direkt vor meine Beine, weil links neben mir sein Kumpel läuft, und mit dem will er sich Arm in Arm ins Ziel werfen. Ich muss abbremsen, um nicht zu stürzen, so ein Vollpfosten!
Daher leicht missmutig laufe ich ins Ziel. Und habe noch soviel Energie übrig, dass ich dem rücksichtslosen Obertrottel hinterherlaufe, kräftig auf die Schulter haue und frage, was das denn für eine bescheuerte Aktion war? Er weiß genau, was ich meine, gibt aber den Ahnungslosen, guckt weg zum total sehenswerten Zaun.
Naja, immerhin kann ich mit 1:31:37 meine PB in Bern verbuchen. Donnerwetter! Hach, wenn es mal immer so klasse laufen würde! Zwar nicht mühelos, aber stets mit dem Gefühl, das Rennen im Griff zu haben, so möchte man es doch am liebsten bei jedem Start erleben dürfen.
Und während ich meine Kamera aus Gründen der längeren Lebensdauer des Geräts nicht mehr benutzt habe, hat mein Mann eine nette fotografische Regendokumentation hinbekommen, ohne im Regen stehen zu müssen. Er kam kurz vor den feuchten Ereignissen ins Ziel und suchte im riesigen Garderobenzelt Schutz. Doch auch hier bahnten sich die Wassermassen ihren Weg, überschwemmten einfach den Boden, also Fußwäsche inklusive in Bern: