Die Idee, den Halben in der Marathonvorbereitung in Enschede zu laufen war gar nicht so verkehrt. Denn ähnlich, wie mein eidgenössischer Ehemann beim
Marathon 2015 dort eine Fabelzeit erlief, geht auch heute wieder die Post ab.
Meine Vorgabe war eine 2:03'er Zeit, was etwa 5:50 Min/km entspricht. Ich nehme mir vor, im Gut-Fühl-Bereich zu laufen und im Zweifel nicht meine Körner alle aufzubrauchen. Schließlich kommt das Frühjahrshauptziel ja erst noch.
Der Tag fing zunächst leicht stolperig an. Zwar bekommen wir in der riesigen Tiefgarage einen Mega-Parkplatz direkt an der Treppe, die direkt zum Nachzielbereich führt. Doch dann empfängt uns eisiger Wind. Ich wusste gar nicht, dass NL so nah an Sibirien liegt... Auf zur Startnummernausgabe. Dort gibt es keine vergünstigten Parktickets wie 2015. Und das vorbestellte Laufshirt gibt es nicht mehr in S, nur noch in M. Nun denn, ich kann es ja später enger nähen.
Wir treffen noch einen früheren Arbeitskollegen meines Mannes und schauen der Marathonspitze zu. Dabei zückt er sein Smartphone und zeigt uns auf der lokalen Wetter-App, dass ca. 1 Stunde nach unserem Start mit kräftigem, aber kurzem Regen zu rechnen sein wird. Ich bin froh, dass ich auf Verdacht noch eine Langarmjacke mitgenommen habe. Mein Mann entscheidet um von kurz auf 3/4-Tight.
Bald stehen wir im engen Startgetümmel. Während links Marathonis ins Ziel laufen, stellt man sich rechts davon irgendwie auf. Es gibt zwar 4 Startblocks, aber die persönliche Wahl des Blocks ist freiwillig. Irgendwo ganz weit vorn (nicht der blaue Bogen, der gehört zum Ziel) ist der Start. Dass selbiger erfolgt ist merkt man daran, dass auf einmal sich alles langsam in Bewegung setzt. Um den Massensturm zu reduzieren, wurde eine kleine Engstelle geschaffen, die alle brav passieren. Und dann gehts los.
Zunächst wie immer, etwas beengt, doch schon bald gibt es Platz genug. Viele Zuschauer säumen in einem ersten kleinen Bogen in der Innenstadt die Strecke. Lustig ein großer Hund, etwa wie ein Riesen-Königspudel: Während seine Familie emsig applaudiert, sitzt er demonstrativ mit dem Rücken zu diesen sinnlos rennenden Menschen. Ein Fitness-Studio hat ein Rudergerät auf den Gehweg gestellt, und während wir laufen, sitzt einer drauf und rackert sich auch ab.
Nach 2 km passieren wir kurz den großen zentralen Platz, auf dem Kirmesstimmung herrscht. Anschließend geht es durch die hübschen und belebten Gässchen der Fußgängerzone.
Bei soviel Ansporn will man sich ja keine Blöße geben und meine Uhr pendelt sich rasch auf um die 5:30 Min/km ein. Zu schnell, zu schnell.
Während des Bild hier zwar Himmelsblau zeigt, ziehen von hinten bereits düsterste Regenwolken auf.
Bald kommen wir in Stadtviertel in Randlage, was aber dem Zuschauerinteresse keinen Abbruch tut. Überall stehen sie und feuern an.
Und dann wird der Lauf ab km 6 zum Landschaftslauf, es geht über frischgrüne baumbestandene kleine Wege. Ich finde keinen Läufer, der etwa meine Pace geht. Irgendwie drückt es mich an diesem und jenen vorbei. Erste Abbrecher sind auch schon an der Strecke auszumachen.
Bald erreichen wir Lonneker, den nord-westlichsten Punkt. Der ganze Ort hat geflaggt! Überall Anfeuern, Party am Straßenrand. Auf dem Flachdach eines Lokals hat gar ein DJ sein Equipment aufgebaut und beschallt alle von oben.
Bald nach Lonneker, etwa km 8, ein wunderschöner landestypischer Anblick.
Na das verleiht doch Flü-hü-gel!
Meine Beine fühlen sich gut an, es läuft!
Bei km 9 ein spezielles Erlebnis: Das Feld quert eine Nationalstraße, Polizisten haben den Verkehr angehalten. Gerade spricht ein Ordnungshüter mit dem Fahrer des ersten, und wohl schon länger wartenden Autos. Plötzlich gibt der Fahrer Gas, schießt durchs Läuferfeld, Gottseidank ohne jemand zu erwischen. Allerdings versetzt er dem Polizist soviel Drall, dass er eine Zwangspirouette dreht und einen Sturz gerade verhindern kann. Unglaublich! Während das Auto mit Vollgas davonschießt, wird bereits das Kennzeichen per Funk weitergemeldet.
Mir fällt gerade ein, dass ich den bewährten Doppelknoten auf den Laufschuhen vergessen habe. Und prompt schlabbern mir links die offenen Schnürsenkel ums Bein.
Mist, Zwangshalt, Schuhe binden. Weiter.
Und schon ist der Zeitpunkt des angekündigten Regens erreicht, der Himmel öffnet seine Pforten. War ich bisher jedesmal, wenn die Sonne sich zeigte, etwas unzufrieden mit meiner Bekleidung, so ändert sich dies nun. Bin ich froh um die langen Ärmel!
Schnell die Kamera wasserfest verstaut.
Es läuft weiterhin gut und zu schnell. Aber es fühlt sich einfach rund an! Und überhaupt, "berg"ab und Rückenwind, soll ich da bremsen?!
Überhaupt der Wind! Ein Mirakel! Er kommt nur von hinten oder von der Seite, NIE von vorn. Wie sie das hier hinbekommen ist mir ein Rätsel! Dies, und der fast ununterbrochene Tribünenschritt, den man angesichts solch zahlreicher Zuschauer fast zwangsweise hinlegt, wird letztendlich zu Super-Resultaten führen, bei uns beiden.
Doch erst kommt noch der eher drögeste Teil: Bei km 13 biegen wir auf eine endlos lange und gerade Straße ein, die erst in die eine, dann in die Gegenrichtung zu belaufen ist. Mental nicht gerade der Brüller. Ich versuche, meinen vor mir laufenden Mann auf der Gegengeraden auszumachen. Erfolglos. Was ich sehe, sind viele langsame, leidende Marathonis in ihrer Endphase.
Aber wenigstens weiter Musik und Anfeuerung! An einer Stelle hat sich eine muntere Gruppe installiert. Animateure in bunten Anzügen aus Stoff mit Testbildmotiv! (Ha! Das kennt schon lange nicht mehr jeder!) Dazu swingende Menschen in Hippieoutfits, Lockenperücken. Musikalisch folgt nach einem Sirtaki glatt "Kaaaaaaalin-ka-ka-lin-ka-ka-lin-kamaja".
Das baut zwar wieder etwas auf, aber hier wird es elendig lang. Der Wendepunkt ist noch nicht einmal zu erahnen. Meine Pace "sinkt" auf um die 5:40 Min/km. Aber nun ist es ja dann bald nicht mehr weit. Und der Regen hat wenigstens wieder aufgehört.
Der Wendepunkt knapp hinter km 16, nun nur noch eine lange Gerade bis ins Ziel. Die paar Kilometerchen. Ich stelle sie mir daheim auf meiner 08/15-Runde vor. Lachhaft.
Dennoch werden die Beine langsam schwer. Ich habe diesmal bewusst auf irgendwelche eigene Verpflegung verzichtet, nehme nur jedesmal 2-3 Schluck Wasser an den zahlreichen Verpflegungspunkten. Zwar hätte ich 2 Traubenzückerchen dabei, aber die lasse ich nun auch, wo sie sind.
Immer mehr Läufer kann ich einsammeln. Und die nun fast ununterbrochene musikalische Unterstützung hilft auch. Die Anfangsriffs von "Satisfaction" kann ich noch genießen, dann laufe ich in den nächsten Schallbereich, Reggae. Auch "99 Luftballons" erklingen.
Und dann höre ich schon den Zielsprecher. Es geht einen langen Zielkanal entlang.
Von selber fallen die Beine nochmals in eine 5:27'er Pace. Unglaublich!
Endlich das Ziel. Endspurten kann ich nicht, aber dann hätte ich wohl etwas falsch gemacht.
Netto erreiche ich wahrhaftig eine 1:59:12, neue pB! Und dass, obwohl ich unterwegs nur so gelaufen bin, wie ich mich fühlte und zwischendurch nie auf die Endzeit gelinst habe. Angestrengt: ja, verausgabt: nein.
Die Zeit war mir hier zweitrangig.
Mein Mann darf sich über eine 1:40 freuen, auch für ihn pB.
Ein Ausflug, der sich gelohnt hat! Auch wenn die Fahrzeit länger als die Laufzeit war. Aber die tolle Stimmung genießen zu dürfen, das war es wert. Maximalzufrieden fahren wir heim. Was allerdings doch noch eine kleine Herausforderung darstellt. Denn dass nun noch das rechte Bein 2 Stunden lang das Gaspedal bedienen muss, ist echt anstrengend.
Ach hätte mein Auto doch Tempomat, aber bei dem Baujahr gabs das leider noch nicht.
Link zum Nacherleben bei Polar Flow:
https://flow.polar.com/training/relive/525974015
Ca. 9 Grad,
21,1 km, 1:59:12, (5:35 Min/km), HF 157