Der leider wieder magenverkorkste Marathon in Weimar verlangte doch nach Kompensation. Die war zwar theoretisch auch schon beim locker gelaufenen Marathon in Monschau gegeben, aber den lief ich ja nur in der offiziell angebotenen Genussvariante.
Also habe ich mal trainiert als ob, und entschied mich dann recht kurz vorher für Frankfurt.
Anreise Samstag, entspannte Abholung der Startnummer in der Messe und abends, hm, lecker, Grüne Soße - DAS MUSS in Frankfurt!
War mein Kopf die Tage vorher fast verdächtig entspannt, setzte dann des nachts ein umso dolleres Gedankenkarussell ein. Warum
bin ich hier? Was soll das? Ich könnte den Tag ganz entspannt verbringen, stattdessen dann wieder diese Plackerei. Zumal des Wetter im Laufe des Tages schlechter werden sollte. Und wenn der Magen wieder...? Bin ich eigentlich blöde... Reicht doch, am Streckenrand zuzuschauen... ICHWILLNACHHAUSE.
Tolle Basis. Entsprechend unlustig steige ich am Morgen aus dem Bett, und falle gleich wieder aus akuter Demotivation hinein. Irgendwann siegt dann doch das Selbstwertgefühl. Ich will ja wieder in den Spiegel schauen können.
Also überwinde ich mich und wir schlappen los durch einen ungemütlichen Morgen. Unser Hotel liegt sehr verkehrsgünstig und ruhig im Bahnhofsviertel. Was bedeutet, dass unser Weg vorbei an ziemlich vielen Gestalten am Rande der menschlichen Gesellschaft, bzw. überwiegend schon jenseits dieses Randes führt. Tief einatmen sollte man besser auch nicht.
Uuuaaah.
Doch je näher wir in wenigen Minuten dem Start kommen, umso eher verflüchtigen sich meine Selbstzermürbungsanfälle. Es gelingt mir zumindest, halbwegs Einklang mit mir selber herzustellen.
Dazu trägt auch bei zu wissen, dass die anderen 14.000 (zzgl. 2000 Staffeln) sich ja auch der Herausforderung stellen...
Schon auf den allerersten Kilometern wird mir schwindelig - im übertragenen Sinne. Der Kurs führt im Zickzack durch die Frankfurter Innenstadt, viele Stellen kommen mir bekannt vor, aber die Orientierung habe ich rasch verloren. Gefühlt wird jeder Wolkenkratzer einmal umrundet. Zudem sieht man mal auf der Gegenfahrbahn, mal an Querstraßen immer wieder Läufer. Ein unglaubliches Gewusel.
An der Oper ist einer der Hot Spots aufgebaut. Auf einer Großbildleinwand kann man sich selber zuwinken - ha, ich erkenne mich auch kurz:
Und schon gehts auf einen weiteren Schwenk durch so enge Straßen, dass meine Uhr auch orientierungslos wird und mir dauernd unglaubwürdige Zeiten signalisiert. Vierer-Schnitt renne ich garantiert nicht. Im Gegenteil, ich laufe nicht nach Uhr sondern so, dass ich mich wohl fühle.
Jedenfalls würde ich auch kein solches Accessoire, wie dieser Kick-Boxer mitführen, einen echten (!) Baumstamm. Er wuchtet ihn immer wieder von einer auf die andere Schulter und ruft dabei den Läufern und Zuschauern aufmunternde Dinge zu:
Wir passieren das Eschenheimer Tor. Übrigens wohnte und wirkte in dem heute bescheiden anmutenden, vor 60 Jahren aber sehr modernen Haus in der Bildmitte (gleich hinter den 4 Fenstern über der Telefonnummer) einst die verruchteste und skandalumwittertste Frau der jungen Wirtschaftswunderrepublik, Wikipedia erzählt mehr.
Weiter gehts, nochmals entlang der Oper, wo der Hessische Rundfunk sein Liveübertragungsareal platziert hat. Direkt neben uns Läufern sitzen die Moderatoren, Dieter Baumann und Jan Frodeno (im weißen Shirt). Gerade als ich vorbeikomme, drehen sie ihre Köpfe zu uns. Ich reiße meine Hand mit dem Fotoapparat hoch und Jan Frodeno lächelt mir zu! Echt, wirklich!!! Wenn das mal kein motivatorischer Mega-Push ist!
Leider verwackelt, aber erinnerungswürdig |
Längst ist mir warm geworden, meine Windbreakerjacke habe ich um die Hüfte geschlungen. Wahrscheinlich deswegen erkennt mein Mann mich nicht, als ich an ihm vorbeirenne (ist jedenfalls seine Männerausrede...).
Irgendwo in den zwanziger Kilometern erhasche ich einen Blick auf den ebenfalls laufenden Mann mit dem Hammer. Um ihm zumindest einen Angriff zu erschweren, nehme ich zur Streckenhälfte eine Salztablette, Muskelkrämpfe bleiben mir jedenfalls erspart.
Auch lauere ich auf Freund Magen, der sich ja meist auch etwa zu diesem Punkt von Marathons bemerkbar macht. Aber, vorsichtige Freude kommt auf, er bleibt friedlich.
Was nicht friedlich bleibt, ist das Wetter. Nach einem ersten kurzen Nieseln setzt plätschernder Regen ein. Dazu Wind. Und die Temperatur fällt, wie angekündigt. Immerhin, auch auf diesen langen Kilometern außerhalb der City gibt man sich viel Mühe mit uns Läufern. Viele Musikpunkte auch hier, viele kleine private Partygesellschaften, Gasthäuser mit Outdoorangeboten wie Grillgut und Getränke. Bei schönem Wetter muss das toll sein. Und auf einer Großbildleinwand dürfen wir schon optisch Zielluft aus der Festhalle schnuppern. Es zieht sich zwar, aber langweilig ist es nicht.
Wegen des Regens muss ich meine Kamera verstauen. Ich sehne den Punkt herbei, an dem wir den Main wieder passieren. Ich wähne mich am Wendepunkt dieser endlosen Schleife, sehe von der Mainbrücke aus weit entfernt die Skyline.
Was? So weit müssen wir noch?!
Und es kommt noch schlimmer, denn hinter der Brücke führt die Strecke nicht etwa dorthin, sondern immer noch weiter weg von der City! Habe ich das so bestellt?
Missmutig trotte ich weiter.
War mein Magen zwar heute ohne Krämpfe, so ist er dennoch nicht willens, die Gels zu konsumieren, die ich geplant hatte. Mehr als 2 schaffe ich nicht, was natürlich der Leistung abträglich ist. Ich teste das angebotene Iso. Es mundet und die perlende Frische tut gut. Leider wird sie durch Kohlensäure erzeugt, und die muss erst immer wieder raus aus dem Bauch. Also Gehpausen... 😑
Allerdings - anderen geht es auch nicht besser. Wie ich erst später erfahre, werde ich sogar einen Olympiasieger hinter mir lassen, jawoll! Und der kann auf diesem Abschnitt schon nur noch gehen. Eine wunderbare kleine Reportage zu Julius Brink (Goldmedaille Beach Volleyball 2012) und warum er unterwegs in einer Tankstelle shoppen geht, gibt es hier: Link > ab 3:28:00.
Eines muss man den Frankfurtern lassen: Sie tun alles, um uns Läufer zu motivieren. Ist es nicht herzig, wie sich diese kleine Kapelle wetterfest postiert hat und uns mit Abba-Klängen anfeuert?
Der Vorteil mit einigen Marathons in den Beinen ist ja, dass sich die Distanz etwas relativiert. Nach den zwanziger Kilometern kommen nur noch die dreißiger, und wenn man die hat, ist man quasi schon fast da....
Quasi.
In der Praxis muss man sich dieses Mantra einfach wie einen Kaugummi im Mund herumgehen lassen.
In Frankfurt baut es auf, wenn man sich dann endlich wieder dem Stadtbereich nähert. Da ist dann auch der Regen langsam egal. Klatschnass bis auf die Haut ist schlussendlich auch ein läuferisches Attribut.
Irgendwo bei km 36 erspäht mich mein Mann. Ist ja auch einfach, denn ich habe meine blaue Jacke wieder an... 😋 Kurz zuvor hatte ich einen Cola-Stand entdeckt, eine lokale Sorte, die wunderbar schmeckt und mir wieder neuen Schwung gibt. Mein Mann läuft kurz ein wenig mit. Bis zur seitlichen Partie der Festhalle, wo das Ziel sein wird. Ich sehe viele Läufer mit ihren Medaillen dort. Das Ziel ist nahe!
Chris ruft mir noch zu, ich müsse jetzt nur nochmals eine kurze Schleife in die City...
Joo, aber "kurz" ist relativ. Besonders, wenn man schon die ganzen Kilometer in den Beinen hat. Noch eine Kurve, und noch eine, nochmal die Hauptwache, und nochmal die Oper (Jan Frodeno ist längst nach Hause wie der ganze Rest vom Hessischen Rundfunk) und nochmal die Fressgass...
Man ergibt sich einfach nur noch in sein Schicksal und vertraut auf die Richtigkeit der Streckenführung... und nimmt dankbar zur Kenntnis, dass auch noch viele Zuschauer ausharren.
Plötzlich erkenne ich, nur noch einmal rechts, noch ein km, und dann der Linksschwenk in die Festhalle.
Der Zieleinlauf ist wirklich atemberaubend und Gänsehautfeeling pur (nur schade, dass man dafür 42,1 km rennen muss...). Mit 4:53 darf ich mich in die Ergebnislisten eintragen.
Die Kamera schaffts nicht ganz... |
Trotz des sanften Drucks, nach hinten hinauszugehen, nehme ich mir ein, zwei Minuten, um zu verschnaufen und das alles kurz auf mich einwirken zu lassen.
Draußen wird umfangreiche Verpflegung angeboten. Chris erwartet mich am zuvor vereinbarten Treffpunkt. Ich bin nicht so k.o. wie sonst schonmal erlebt und dränge, bevor ich dann ganz auskühle, auf raschen Rückweg. Die Anziehungskraft einer heißen Dusche ist verdammt verlockend...
Frankfurt also. War schöner, als ich zuvor vermutet hatte. Vor allem, die viele Musik, die ganze Stimmung trotz des miesen Wetters, die gute Organisation, all das verdient viel Lob.
Mein erstes Jahr zudem mit 3 Marathons 😁
Wer hat da eigentlich den falschen Film bei mir eingelegt in der Nacht zuvor...?