Montag, 29. April 2019

100 jahr bauhaus marathon Weimar

Der 100 jahre bauhaus marathon (Veranstalterrechtschreibung) in Weimar, eine Premiere, die anscheinend aber keine weiteren Wiederholungen nach sich ziehen soll. So jedenfalls am Streckenrand zu hören, denn das Bauhaus wird ja nur einmal 100. Schade wäre es um eine schöne Veranstaltung, und so sind wir froh, dabei gewesen zu sein!




Nachdem wir Freitag und Samstag die wunderschöne Stadt erkundeten, nahm uns ihr Flair gefangen. Wie musste es erst sein, hier laufen zu können? Der Wetterbericht verhieß leider nichts gutes in Form von viel Flüssigkeit von oben. Doch als wir uns am Sonntagmorgen vor dem gerade frisch eröffneten neuen Bauhausmuseum einfinden, ist es trocken, bei 8°, und es wird trocken bleiben!


Schnell finden wir unseren Platz im Feld der knapp 2500 Marathonis, Halbmarathonis und Staffeln. Startblocks gibt es nicht, auch keine Zugläufer! Denn hier gibt es eine Besonderheit: Der Lauf soll Sport und Kultur verbinden und so wird es unterwegs 9 Kulturauszeiten geben: Man kann die Strecke für die Besichtigung bauhausrelevanter Gebäude verlassen und die Zeit wird dafür angehalten!


Den Startschuss gibt Uta Pippig, die uns mit begeisterten Worten auf die profilierte Strecke schickt und selber den Halbmarathon bestreiten wird.
Und schon beginnt eine gelaufene Stadtbesichtigung überwiegend über Kopfsteinpflasterstraßen. Durch das trübe Wetter sind wohl nicht so viele Zuschauer wie erhofft am Streckenrand, aber die, die da sind, zeigen ihre Begeisterung!





Ein einsamer Trompeter entbietet "Carmen"



Goethes Wohnhaus am Frauenplan
Schon nach 3 km verlassen wir Weimar und aus dem Stadt- wird ein Landschaftslauf. Bis km 10 wird es nun nur aufwärts gehen. Vor dieser Steigung hatte ich ein wenig Sorge, doch da sich die Höhenmeter auf einige km verteilen, ist es ok.



In Niedergrunstedt ist es zu so früher Stunde ruhig. 2 Herren prosten uns mit Bierflaschen zu, schlagfertig ruft ihnen ein Läufer zu "Nich saufen, looofen!" Einzelne Familien stehen dann doch am Straßenrand, und dann folgt die erste Auszeit bei km 6, die örtliche Kirche.
Die Veranstalter vermelden schon am Abend, dass ca. 1/5 der Läufer mehr als 3 Auszeiten genutzt haben, 51 gar alle. Mir wird später nur eine fehlen, dann wären es 52.
An jeder Auszeit wird etwas geboten. Hier ist es Rockmusik und Malerei, SELBSTGEMACHTE Malerei! Die technische Organisation ist überall ausgezeichnet, die Matten zum Zeitstopp gut erkennbar. Das ganze verbunden mit Getränkeposten. Wer auszeitet, verlässt zügig die Strecke, so dass für die Durchlaufenden Platz ist. Perfekt.






Weiter geht es durch die blühende thüringische Landschaft. Schade, dass es kein Geruchsinternet gibt! Noch steigt es sanft weiter aufwärts.



Die nächste Auszeit bei km 8, die "Feininger"-Kirche Gelmeroda. So betitelt, seit sie Lyonel Feininger sehr oft und markant malte. Das Programm kündigte einen "Marathongottestdienst" an. Davon ist nichts zu sehen. Wohl aber ist der Pfarrer (jedenfalls halte ich den Herrn dafür) da, begrüßt uns, erklärt seine Kirche, und hat im CD-Player dezente Tangomusik eingelegt. Eine Wand zeigt Grafiken der Kirche. Draußen gibt es Bratwurst und Jazzmusik. Musik, wie sie gut nach Mitternacht zu einer verräucherten Kneipe passen würde...






Und weiter durch die offene Landschaft. Es läuft gut bei mir, die Sorgen, die morgendliche Anspannung sind verflogen. Endlich ist der große Tag da, wir laufen!




Nächste Auszeit: Kirche Possendorf. Es soll eine Dada-Performance geben, von der ich aber weit und breit nichts sehe. Oder war das das Bild, das ein Läufer gibt, der mal eben auf einer hinteren Kirchenbank seine Kleidung wechselt...? Inzwischen sind wir Läufer eingespielt, was diese Auszeiten angeht.





Bei km 11 haben wir den vorerst höchsten Punkt erreicht, ab nun rollt es alles wieder abwärts. Garniert mit schönen Ausblicken in die Weite des Landes.


Nächste Auszeit, km 14, Kirche Vollersroda. Ich darf kurz einem wunderschönen Orgelkonzert lauschen.




Weiter gehts durch das Dorf. Ich liebe es wie immer, links und rechts zu schauen und die Eindrücke aufzunehmen. Die gepflegten Gärten, die alten Höfe, die mehr oder weniger geglückten Renovierungen. es läuft nach wie vor gut, und da nun abwärts, sowieso.



Es schließt sich Park und Schloss Belvedere an. Dies werden wir im Rahmen der Volldistanz später nochmals durchlaufen. Leider keine Auszeit, ist ja lange vor dem Bauhaus entstanden.






Inzwischen sind wir wieder in Weimar. Nächste Auszeit, ca. km 18. Haus Hohe Pappeln, das von ihm selbst entworfene Wohnhaus von Henry van de Velde. Als Performance angekündigt: "MARATÖNE", Klangexperimente. Leider darf immer nur eine begrenzte Anzahl Besucher hinein. Und da sich Läufer und Touristen mischen, müsste man anstehen. Ich verzichte. Sehe aber den Künstler durch das Fenster mit seiner E-Gitarre wirken. Und höre die Kommentare derjenigen, die drin waren. Ist wohl seeehr modern.




Durch ein wunderschönes Viertel alter Villen nähern wir uns dem Zielbereich.


Doch vorher nochmals eine Auszeit, km 20,5: Die Bauhaus-Uni ist geöffnet.
Geboten werden draußen Dixieland und drinnen 20-minütige Führungen. Das ist mir zu lang, aber einen kleinen Blick hineinwerfen und eine kleine Unterhaltung mit einer Studentin, dazu reicht die Zeit. Außerdem gibt es statt sonst ToiTois hier auch "richtige" Sanitärräume.



Und dann kann ich erstmals Zielluft schnuppern. Dort, wo die Halbmarathonis (der Großteil der Teilnehmer) ins Ziel einlaufen, werde ich auch später den Lauf beenden. Aber im Moment bin ich richtig froh, dass ich noch weiter die Strecke erleben darf.



Die Perspektive wechselt. Ab nun sind nur noch wenige unterwegs. Zwar befürchteten wir zuvor, dass dies einsam und nervig werden könnte. Aber das Gegenteil ist der Fall, man kann ausgiebig genießen und lernt noch mehr schöne Landschaft kennen. Es ist, wie ein langer Trainingslauf mit Gleichgesinnten im wunderschönen Ilmpark und weiter aufs Land hinaus entlang der Ilm.



Aber zunächst, km 22, die von mir am meisten ersehnte Auszeit: Das Haus am Horn. Ein Wohnhaus, komplett nach Bauhaus-Idee konzipiert. Leider wird es erst im Mai wieder eröffnet, die letzten Sanierungsarbeiten laufen mit Hochdruck. Doch davor stehende Studenten erläutern anhand von Bildern die Konzeption und das spätere innere Aussehen. Und es wird "Stretch it like Bauhaus" geboten, Auflockerungsgymnastik für Läufer. Das ist insofern gut für mich, als dass die Vorturnerin dafür ihren Stuhl freimacht. Denn den brauche ich, mir wird kurz übel. So was blödes. Kurzzeitig flammt der Gedanke auf, abzubrechen. Es wäre nur 1 km zum Hotel. Aber das will der Kopf nicht wahrhaben. Nach einigen Minuten mache ich mich auf den weiteren Weg. Ein Glück, dass wir frische Luft haben.



Es klappt auch wieder ganz gut und ich genieße das wunderschöne Grün. Man, was haben die hier für eine vielfältige Stadt in Weimar!


Bald wird es wieder ländlicher, auf dem Weg zur nächsten Auszeit ein "Kunstwerk" der anderen Art mitten in der Landschaft.


Km 29, Mellingen. Auszeit in der Kirche. Leider ist die hiesige Lesung nicht durchgängig, die Künstler machen gerade Pause. Ich muss inzwischen einer gewissen Erschöpfung Tribut zollen. Ohne Gehpausen geht es nicht.


Und uns Marathonis erwartet nach Mellingen nochmals ansteigendes Terrain, knackiger als in der ersten Hälfte. Am Ende zeigt meine Uhr 540 HM.
Mein Magen beginnt leider wieder seine Unmutszickerein, die Gehanteile wachsen.





Bei km 35 schwenken wir ein auf den bereits bekannten Park Belvedere. Eigentlich hatte ich mich auf die nun folgende lange Abwärtspassage gefreut. Was kann es besseres geben, als beim Marathon gegen Ende lange bergab laufen zu können? Aber leider, das mag mein Magen nun auch schon nicht mehr. Abwärts GEHEN! Wie blöde...

Bei km 36,5 wäre noch eine Auszeit, das Musikgymnasium Belvedere mit Darbietungen. Doch danach ist mir nicht. Nur noch den Rest absolvieren. Also weiter abwärts. An einer Bank kann ich nicht anders. Ich muss mich setzen.
Dann wieder die Villenstraßen. Noch 5 km, noch 4, noch 3.
2 Polizisten halten den Verkehr für jeden Läufer an. Ich passiere die Straße, doch auf der anderen Seite verbünden sich Magen und Kreislauf zu einer fiesen Attacke. Ich muss mich an einem Zaun festhalten, der Magen will nicht vorhandenen Inhalt abgeben, was aber nur zu trockenem Würgen führt. Einer der Polizisten kommt zu mir und bietet mir an, einen Krankenwagen zu rufen. Ich schaue ihn entsetzt an. 3 km vor dem Ziel aufgeben? Das kommt nicht in Frage. Er lässt mich dann, nicht ohne Hinweis, dass er mir jederzeit einen Wagen ruft, aber auch noch weitere Posten bis zum Ziel kämen.
Nach einigen Momenten rappele ich mich wieder auf. Nochmals vorbei an der Uni (nun geschlossen). Danach aber leider nicht gleich zum Ziel, denn um auf die 42,195 km zu kommen müssen wir noch eine kleine Extra-Runde im Park absolvieren. Mein Gang wird wieder richtig zügig. Ich sehe noch 2 Damen, die elegant diese 2-km-Schlaufe abkürzen. D A S habe ich nicht nötig, wennschon, dennschon! Ich hatte unterwegs trotz allem keine Zweifel am Finish, und der Zielschluss um 16:30 Uhr (macht 7, 5 Stunden Bruttozeit) ist ja locker machbar.
Und so trabe ich am Ende auch nochmals an, um für mich das Ziel zu erobern. Die beschäftigungslosen Sanitäter dort (die ohnehin reichlich an der Strecke vorhanden waren) machen nur für mich die La Ola.
Ich lache sie an, nehme dankbar meine Medaille entgegen, geschafft, zufrieden. 5:33 Std ist ok für heute.


Was ist das Fazit? Wunderschöner Lauf, abwechslungsreich, perfekte Organisation auf der Strecke. Sehr gut markiert und unzählige Streckenposten. Der Lauf sollte weiterleben! Schließlich stecken 4 Jahre Vorbereitung drin, wie wir hörten. Und wenn nicht als Bauhaus-Lauf, dann vielleicht zu den Klassikern? Schiller, Goethe, Stadtschloss - es gäbe hier unzählige Möglichkeiten. Aber bitte mit Kulturauszeiten - die fand ich klasse.
Ein paar Dinge könnte man noch verbessern. Die Infos im Vorfeld, kamen etwas knapp.
Skuril war die Getränkesituation im Ziel. Ich sah 5 Wasserbecher stehen. Das wars. Mein Mann wollte den Bon für ein Sponsorengetränk einlösen, doch das ging nicht. Dazu hätte er Pfandgeld dabeihaben müssen! Das habe ich noch nie erlebt.
Ich nutze eher die Möglichkeit, im Hotelzimmer die zuvor beschafften Getränke zu konsumieren. Wir haben Glück, denn das Hotel (ein sehr empfehlenswertes Gästehaus im vietnamesischen Stil) liegt gleich im Nachzielbereich - purer Luxus.
Den Tag lassen wir passend zur Unterkunft bei köstlichem vietnamesischen Essen ausklingen.
Und es passt zum Tag der Inhalt des Glückskeks, den ich auf meinem Nachttisch fand:
"Die Frage des Lebens ist WARUM?
Die Antwort lautet: WARUM NICHT?"

Und hier noch ein schönes Veranstaltervideo des Laufs: Link