Irgendwo musste ich hin mit meiner Laufenergie, ich fühlte mich sooo super. Der Wetterbericht versprach Sonne für Samstag Nachmittag, also nichts wie angemeldet zum virtuellen Münchner Marathon! Der kann noch bis zum 31.12. gerannt werden.
Ein kleines Omen für das, was kommen sollte, war die in meinen Augen holprige Anmeldung. Irgendwie war das Zusammensuchen der Informationen auf der Webseite mühsam. Zum Ablauf wird mir längst nicht alles klar. Es wirkt ein wenig, wie mit der heißen Nadel gestrickt. Beispiel:
Das "Leberergebnis" zauberte wohl das Übersetzungsprogramm aus "Liveresultat" ("liver"=Leber), und "Home" ist natürlich "Zuhause". Auch lotst man mich in die Einstellungstiefen meines Handys, weil ohne bestimmte Änderungen nichts liefe. Ich vollziehe alles nach, so wie ich es laut Anleitung verstehe. Und freue mich auf so ein beschwingtes Lauferlebnis wie neulich beim virtuellen Köln Halbmarathon. Wie man sich täuschen kann...
Samstag Morgen ruft der Gartenbauer an und will kurzfristig am Nachmittag das bestellte Kaminholz anliefern. Also nichts mit sonnigem Nachmittagslauf, früher los heißt die Devise. Doch nicht los will die App. Fordert immer wieder GPS-Freigabe, die ich doch längst gegeben hatte, und zwingt mich in eine Endlosschleife. Erst als ich aus Verzweiflung für >ALLE< Apps >IMMER< GPS-Zugriff erlaube, wird sie willig. Aber dann? Soll ich auf "Aufwärmen" gehen oder gleich "Start"? Habe dazu keine Erklärung gefunden. Wir stehen inzwischen schon länger bei 5° im Kalten vorm Haus. Also "Aufwärmen". Eine furchtbar anzuhörende weibliche Automatenstimme (Tec-Freaks der 80er hätten ihre Freude) schnarrt irgendwelche Erklärungen herunter. Keine Lust darauf, also wähle ich "Start". Und ohne Countdown beginnt die App ihre Zeitnahme. Huch, wir müssen los! Handy verstauen, Handschuhe anziehen im Laufen. Die App spielt mir "Insomnia" vor, Am Himmel über uns verziehen sich die Wolken und wunderbar blauer Himmel wird sichtbar. Na also, nun kanns losgehen!
Nach 3 Minuten plötzlich Stille im Ohr. Mist, stehenbleiben, Handyfummelei. Die App zählt weiter die Sekunden. Sch....! Laufe ich eben unbeschallt weiter. Bei km 1 meldet sich die Automatenstimme und verkündet meine erste Zwischenzeit. Aber Grammatik kennt sie nicht, sie nennt mir "Minutes" und "Sekunds" und wird später noch "Hu-ers" ergänzen. Und sie verrät mir meinen momentanen Rang. Aber was nützt mir der? Die Prognose einer Endzeit, wie bei der Kölner App, fand ich sehr viel inspirierender.
Immerhin, es setzt wieder Musik ein! Ok, seltsame App. Aber dann schon wieder, 3 Minuten Mucke, gefolgt von Stille bis zum nächsten vollen km. Dieses seltsame System wird mich weiter begleiten. Chris erkennt einen möglichen Hintergrund: Klar, so haben 3-Min-Pace-Läufer durchgehend musikalische Unterhaltung, während alle anderen wohl animiert werden sollen, schneller zu rennen... Allerdings offenbart sich bald auch ein Vorteil: Bei weniger gefälligen Titeln ist man nach 3 Minuten froh, wenn man sie nicht mehr weiter hören muss!
Aber erst einmal werden alle meine Gedanken dazu jäh ausgebremst. Auf einem schotterigen Feldweg nach etwa 2,5 km stolpere ich und gehe auf knallharte Augenhöhe mit den Steinen, schlage mit dem linken Knie auf und mit der rechten Hüfte (Keine Ahnung, wie man so verdreht zu Boden gehen kann). Mir wird speiübel und ich muss einige Minuten verharren um mich zu sortieren. Gebrochen oder verstaucht scheint nichts, Blut fließt auch keins. Erste zaghafte Versuche ergeben weiterhin Lauffähigkeit und so traben wir langsam wieder an. Die Automatenstimme baut auch kluge Sprüche ein und verrät mir mit der Empathie einer Bahnsteigansage, dass laufen wie eine gute Tasse Kaffee sei, hinterher fühle man sich super. Ja sogar werde ich für die Wahl der schönen Strecke gelobt und dass ich gut aussehe... spätestens da entlarvt sich das System selber ;-)
Ein Titel der Musikauswahl passt sogar perfekt zu unserer Umgebung. In tiefstem Bayerisch singt einer, soviel verstehe ich immerhin, von den Vorzügen der Landwirtschaft und dass er überlege, seinen Kühen Malzbier oder Globuli zu verabreichen.
Und back to youth soll wohl auch motivieren: Link. Nun ja. Ich sehne mich nach dem Kölner Mix zurück, der einen so richtig und durchgängig nach vorn pushte, die Münchner Auswahl ist da ... anders.
Also trabe ich eher lustlos hinter Chris her. Nach etwa der Hälfte der Strecke und vielen Minutes und Sekunds entschließt sich das Knie doch noch zur Meuterei. Den Fuß aufzusetzen mag es nicht mehr gern abfedern und ihm neuen Schwung mitzugeben auch nicht. Da muss eben rechts mehr geleistet werden. Natürlich werde ich immer langsamer, was auch sonst. Kluger Spruch ins Ohr "Laufen ist zu 90 Kopfsache, der Rest ist mental." "...oder Knie" ergänze ich still vor mich hin.
Ach wie öde kann laufen sein! Jammern nützt aber auch nicht viel, denn wir sind mitten zwischen den Äckern, heim muss ich ohnehin zu Fuß. Gelegentliche Gehpausen müssen eingeschoben werden.
Das tolle Schauspiel am Himmel kann da kaum trösten. Bei km 16 verkündet mir eine Herrenstimme, dass es noch 3 km sind bis zum Ziel. Hm, ich würde da anders addieren. Tun sie in München auch, denn bei km 18 sollen es nochmals nur noch 3 sein. Diesmal glaube ich das, würde aber am liebsten nun eine Abkürzung zum Ziel nehmen...
Ein letzter Funke Kampfgeist flackert auf und treibt mich, wenn auch nicht mit Endspurt, so aber immerhin bis zum Ende. Da gerade wieder Stille bei der App herrscht, fährt mir die plötzlich einsetzende tosende Fanfare dermaßen in die Glieder, dass ich einen Schrei loslasse. Chris dreht sich erschrocken um, und wähnt mich schon wieder am Boden. Ich laufe keinen Schritt weiter, Gottseidank ist die Haustür nur 100m entfernt. 2 Hu-ers, 12 Minutes und ein paar Sekunds.
Gerade rechtzeitig, um das Kaminholz entgegenzunehmen.
Das hätte ich mir nun ganz anders vorgestellt! Da die Münchner Medaille und Finishershirt erst hinterher schicken, weiß ich gar nicht, ob ich mich darauf noch freuen soll. So einen verkorksten Lauf will man eigentlich nur streichen und in den Orkus des Vergessens schicken. Hinzu kommt, dass diese Version virtuellen Wettkampfs mir absolut nicht gefallen hat im Vergleich zur kölschen Variante. Ok, wenigstens haben sie etwas versucht anzubieten. Und unterwegs gabs auch keinerlei Sponsorensprüche. Und gegen Ende wurde auch die Münchner City und das Stadion erwähnt. Und man könnte, wenn man wollte, nochmal laufen und so das Ergebnis verbessern.
PS: Die Hüfte wird zwar nun bunt, muckst sich aber überhaupt nicht. Das Knie sieht aus, als wäre eine rote Scheibe draufgesetzt, ist aber auch weniger schlimm als befürchtet.
Unkraut vergeht nicht.
Automatenstimmen mag ich dennoch länger keine mehr hören.