Auf die Teilnahme am "Römermarathon" Via Belgica hatten wir uns schon lange gefreut. Dieser schöne Lauf quer durch das hügelige Limburg in den südlichen Niederlanden, von der deutsch-niederländischen Grenze nach Maastricht hatte mir schon 2022 sehr gut gefallen.
Diesmal läuft auch Chris mit, als Staffelpartner von Luzia. Und Oliver, der sich kurzentschlossen noch anmeldete. Wir gönnen uns 2 Tage Maastricht, wollen etwas mehr Atmosphäre mitnehmen als nur bei einem Tagesabstecher zum Lauf. Daher können wir am Vortag ein wenig bummeln und vorab Zielluft an der mittelalterlichen Sint Servaasbrug schnuppern. Schon hängen die bewährten orange-gelben Marathonpfeile, die uns am Sonntag in unendlicher Menge den Weg weisen werden.
Sonntagmorgen. Ein fahler Sonnenaufgang über der Maas zeigt sich vor dem Fenster unseres Hotelzimmers. Der Wetterbericht verspricht von Start bis (meinem geplanten) Zieleinlauf eine Temperaturbreite von 16° - 23°. Was ziehe ich an? Ich entscheide mich für Radlerhose und hauchdünnes Finishershirt aus Berlin. Das sieht zwar warm aus, ist aber sehr dünn und so grobmaschig, dass Wind gut durchpusten kann. Unser Hotel liegt ca. 400m vom Ziel weg, sehr praktisch. Zumal von dort ein Transfer zum Start in Rimburg mit Bussen organisiert ist.
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Später sind das die letzten Meter vor dem Ziel |
Vom Bus aus können wir uns schon optisch etwas auf die sehr schöne Strecke einstimmen. Und mit Oliver Fachgespräche über Hunde- und Katzenhaltung führen. Mit Spannung sehen wir dem Tag entgegen. Das sonst sicher am frühen Sonntagmorgen eher ruhige Dörflein Rimburg ist heute wuselig. Der Ort ist beflaggt und bewimpelt, ein Banner grüßt die Läuferschar. Leider ist die Teilnahme erneut gering, nur knapp über 100 Marathonis und rund 40 Staffeln sind gemeldet. Dem Lauf wären mehr Teilnehmer zu wünschen, er ist es auf alle Fälle wert.
In diesem Jahr bietet man uns ein speziell römisches Starttor, und die Zahl der anwesenden Römer hat sich auch verdreifacht. 😁 Grimmig bis grinsend stellen sie sich den zahlreichen Fotowünschen.
Noch ein wenig Quassel-Zeit bleibt uns bis 10 Uhr. Chris macht sich mit Luzias Tochter Helen und Freundin Tineke auf zu seinem Wechselpunkt bei km 21,1. Luzia, Oliver und ich machen uns startbereit. Dann geht es wie schon letztes Jahr bei kräftigen Läuten der Kirchturmglocken und dem Jubel am Streckenrand los, grandios, Gänsehautmomente!
Schon gleich hinter Rimburg gilt es die ersten Höhenmeter zu bezwingen (der Lauf hat deren insgesamt ca. 360), bevor es an Feldern vorbei Richtung Landgraaf geht. Dort erwartet uns bei km 4 bereits der erste VP, der, wie auch einige muntere Streckenposten im Ort unverkennbar von einem Verein von Römerliebhabern organisiert wird.
Luzia und ich "rollen" uns ein. Wir haben ungefähr das gleiche Tempo und werden bis zur Halbmarathonmarke zusammen bleiben. Der eine oder andere kleine Gedankenaustausch macht es sehr kurzweilig. Außerdem kann sie dies und das zur Strecke erzählen, da sie sehr nahe beim Start wohnt.
Ich bin erneut erstaunt, wie geschickt die Route durch ein eigentlich dicht besiedeltes Gebiet so geführt wird, dass wir viel Grün erleben dürfen.
In Heerlen (um km 14-15) durchlaufen wir kurz die Fußgängerzone. Sehr ruhig hier.
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Die Dame besetzt einen Kreisverkehr |
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Wandbemalung unter einer Brücke |
Danach folgt edleres Ambiente, Schloss, Park, Golfplatz.
Typischer Anblick: Die endlos vielen Fahnen an den Häusern entlang der Strecke. Zuschauer gibt es eher wenig, aber oft spontaner Applaus von Spaziergängern und draußen sitzenden Cafébesuchern.
Bis zum Staffelwechselpunkt läuft es bestens. War ich 2022 bei 2:13 Std hier, brauche ich diesmal 2:19 Std. Fühlt sich gut an. Luzia steigt aus und übergibt an Chris. Ich nehme wie an jedem der zahlreichen VP's Wasser und hier eine erste Salzpille. Ab nun laufe ich allein, plötzlich ein ungewohntes Gefühl.
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Schwitzende Römer am Wechselpunkt |
Kurz vor Craubeek dringen interessante Töne an meine Ohren. Die Urheber tauchen gleich danach im Ort auf. Schöne Musik. Blöderweise bin ich unkonzentriert und sehe nicht die Pylonen links, biege, begleitet vom Klatschen der Streckenpöstin, nach rechts ab. Kommt mir gleich komisch vor, unbekannte Straße und an der nächsten Abbiegung keine Pfeilmarkierung. Ich bleibe kurz irritiert stehen, drehe mich um, und sehe schon von weitem die Dudelsackspieler und einige Zuschauer winken und gestikulieren. Uff, rechtzeitig gemerkt. Auf diesbezügliche Kommunikation mit der Helferin verzichte ich und mache mich unter anfeuerndem Zurufen der Zuschauer auf den richtigen Weg.
Es folgen schöne Passagen mit weiten Ausblicken. Die Sonne macht mir nicht soviel aus, wie befürchtet. Weil der Himmel doch etwas wolkig ist, und dann der Wind angenehm kühlt. Teilweise fröstelt mich sogar leicht im nass geschwitzten Shirt. Ich nehme ein Gel. Muss aber leider konstatieren, dass die zweite Streckenhälfte schon bald nicht mehr so locker ist. Ich habe ein Gefühl, als gehe mir mit jedem Schritt mehr Energie verloren als gut ist, wie bei einem tropfenden Tank. Zwar nehme ich an jedem Posten, also alle 4-5 km einige Schlucke Wasser, doch wahrscheinlich müsste es mehr sein. Aber auch wenn der Magen sonst recht brav ist, viel Flüssigkeitszufuhr lässt er nicht zu. Als wenn man den Inhalt eines Kaffeepotts in eine Espressotasse quetschen will, es geht einfach nicht rein.
Also nehmen die Gehpausen sukzessive zu. Und es wird immer zäher. Ich überschlage meine bisherigen Erfahrungen. In
Prag habe ich 2x trotz vieler Gehabschnitte und heftigerer Magenprobleme gefinisht, in
Weimar ging es mir gegen Ende auch richtig schlecht und ich kam dennoch durch.
Amsterdam, auch so ein düsteres Kapitel mit krampfenden Beinen, angekommen.
Das wäre doch gelacht! Außerdem, hier ist weit und breit keine Bahn, die mich zurückfahren könnte.
Mein Gang wird staksiger. Ich kalkuliere, dass es mit der 6 Stunden-Grenze doch noch klappen sollte. Und-heureka- die Rest-km werden einstellig.
Hinter dem Weinberg ist im Dunst schon Maastricht erkennbar:
Längst bin ich völlig einsam. Doch halt, irgendwann nach dem 35-km-Schild taucht plötzlich eine junge Frau auf einem Rad auf. Sie spricht mich an, wie es mir gefalle und wie es mir gehe. Ich sage, was Sache ist. Dass der Magen nicht so recht trinken wolle, dass meine Beine zumachen und sich Krämpfe andeuten könnten. Ich trabe immer wieder mal an und falle in Schritt zurück, wenn die Waden zu fest werden.
Sie bleibt bei mir, wir unterhalten uns. Sie hat seit 13 Jahren kein Auto mehr. War früher selber Läuferin, aber nach einem komplizierten Beinbruch stieg sie um auf Rad. War gerade erst per Rad in Trier (!) und davor per Rad in 4 Tagen von Basel nach Maastricht gefahren (!!!). Toll.
Dann gibt sie zu erkennen, dass sie zum Veranstalter gehört und sich um die hinteren Läufer kümmert. Aber uns würde ja noch ein (!) Teilnehmer folgen.
Ich bin wirklich froh, nicht allein zu sein. Bald sehe ich hinter uns ein weiteres Läufer-Radler-Paar. Ok, das ist dann der Besenradler mit dem letzten Läufer. Sie passieren uns, der Besenradler bleibt nun auch bei mir und so bewege ich mich begleitet von zwei Radelnden fort, sehe mich im Geiste schon so ins Ziel einlaufen oder -gehen.
Die beiden geben sich so viel Mühe, mich aufzumuntern. Sie diskutieren in gebrochenem Deutsch, dass doch schließlich auch die Letzten einen Extra-Preis bekommen müssten, weil sie sich so quälen müssen. Sooo nett!
Wir drei erfreuen uns großer Beliebtheit bei den Streckenposten (es sind hier unzählige, sicher mehr Helfer als Teilnehmer), denn meine Eskorte sagt ihnen jeweils, sie hätten nun Feierabend und können heimgehen.
Es wird zäher.
Aber das sollte doch zu wuppen sein...😕
Wir nähern uns dem letzten VP bei km 38, knappe 5 Stunden sind vergangen. Letztes Jahr war ich da längst im Ziel. An diesem VP hatte ich damals Cola bekommen, die mich super aufbaute. Ich sehe das Dach des Postens, es zieht mich aus der Ferne an. Und danach nur noch 4 km!
Ich nehme ein Wasser, und noch eine Cola. Mache ein paar Dehnungen.
Plötzlich will der Magen sich entleeren. Ich kann doch nicht über den Tisch... drehe mich schnell um, gehe einen Meter zum Wegesrand. Da sind ein Zaun und eine kleine Hecke. Ich will mich mit der Hand am Zaun abstützen. Weiß aber nicht mehr, ob die Hand tatsächlich bis dorthin gelangt.
...
Ich schwebe in schwarzer Schwerelosigkeit. Ach wie herrlich leicht fühlt sich alles an, so entspannt, so wohltuend...
Wären da nicht diese komischen Stimmen. "Hallo!" "Hallohalloooo!"
Dann nehme ich das Gesicht meiner Radbegleiterin wahr. Sie schaut so besorgt ... das Gesicht schwebt über mir, wie auch noch weitere Gesichter.
Langsam dämmert mir...
Hände machen sich an meiner Laufweste zu schaffen, zerren sie mir weg. Jemand setzt sich hinter mich auf den Boden mit angewinkelten Beinen, so dass ich mich wie auf einem Liegestuhl gegen die Unterschenkel lehnen kann. Und zack, krampft das rechte Bein, ich muss vor Schmerz schreien. Die Radlerin handelt umgehend, drückt meine Fußsohle hoch. Die Frau ist klasse, es hilft sofort.
Ob ich einen Wasserschwamm über den Kopf wolle? Hm, joo. Der Schwamm kommt, aber das Wasser ist eiskalt, rinnt mir den ganzen Rücken hinunter, es setzt Schüttelfrost ein.
Ich will in die Sonne. Viele Hände helfen mir hoch, 3 Schritte weiter, und dann wieder hinsetzen. Wieder die Beine im Rücken. Ich zittere, man legt mir eine Jacke um. Ein Mann mit Handy am Ohr neben mir. Er scheint eine medizinische Fachkraft am Apparat zu haben und gibt Fragen weiter. Gebrochenes Deutsch, englische Brocken. Ob ich Herzrasen hätte? Atemnot? Druck in der Brust? Ist das schonmal passiert?
Atmen soll ich, tief durch die Nase ein und durch den Mund aus (oder war das umgekehrt?)
Man will mir nasse Schwämme unter die Achseln legen. Nein, mir ist schon so kalt!
Ich kann vermitteln, dass mein Mann im Ziel wartet, und ich die Hotelschlüssel habe und er nun nicht ins Zimmer könne.
Ob ich ein Handy dabei habe? Gute Idee, aber es kommt keine Verbindung zustande. Ich schreibe eine Whatsapp, mit zitternden Fingern ganz schön schwierig. Fast 10 Leute sind zugegen und kümmern sich. Ein Mitglied des Veranstalterteams erfragt meinen Namen, man werde im Ziel meinen Mann ausrufen. Das geschieht auch und so erfahren Chris, Luzia, Helen, Tineke, Oliver und seine Frau wenigstens grob, was passiert ist.
Inzwischen konnte ich aufstehen, lehne mich an den leeren Tisch des VPs, man reicht mir ein Wasser, das in meinen zitternden Händen echten Wellengang entwickelt.
Ein Rettungswagen sei angefordert, doch das dauere noch. Ich will aber sowieso nicht ins Krankenhaus!
Dann tauchen zwei ambulante Sanitäter auf. Die haben nur einen Kleinwegen, keinen Krankenwagen, dafür einen großen Notfallkoffer. Diskussion auf niederländisch, die ich nicht wörtlich verstehe. Die Sanitäter wollen wohl nur hier vor Ort behandeln, sehen sich nicht als Taxifahrer. Die anderen reden auf sie ein.
Ich stehe zitternd daneben und wünsche mich sehnlichst in deren kleines altes Auto, das 30m weiter weg in der Sonne steht und sicher innen muckelig warm ist...
Dann darf ich doch dort einsteigen. Aber die beiden wissen nicht, wo das Ziel ist! Man sagte ihnen die Straße, doch erst einmal geht es in die falsche Richtung los. Dann aktiviert der jüngere Beifahrer Handy-Navigation. Wenden, endlich geht es in die richtige Richtung. Rund 300m vor dem Ziel wollen sie plötzlich wieder falsch abbiegen. Ich protestiere, zeige auf die nahen Wimpel auf der Servaasbrücke und wünsche hier nun auszusteigen. Der Wunsch wird mir erfüllt, ich bedanke mich und habe wieder soviel Sprit im Tank, dass ich langsam gehend, die Startnummer verschämt versteckend, das Zielgelände erreiche.
ENDLICH!
Chris, Luzia, Helen und Tineke sind noch da, ich freue mich sie zu sehen und es tut mir leid, dass sie sich solche Sorgen machen mussten. Es geht mir schon wieder halbwegs. Das köstliche niederländische Radler hilft, Luzia bringt mir Salznüsse, Banane, Orangenschnitz, Lakritz. Helen hat meinen Rucksack mit wärmender Kleidung zur Hand, die ich sofort anziehe. Ein Organisationsverantwortlicher kommt, legt seinen Arm fest um mich und sagt mir, dass man sich solche Sorgen gemacht habe und wie schön es sei, dass ich nun doch heil angekommen bin.
Ja, da bin ich nun auch froh. So erleichtert war ich selten im Leben, irgendwo angekommen zu sein.
Mit bleiernen Beinen geht es den Gottseidank sehr kurzen Weg ins Hotel. Endlich heiß duschen (Ich friere unter der Dusche, Chris findet sie zu heiß) und dann ab ins Bett, warm einmummeln, Kaffee, Cola, Kekse. Der olle Magen nimmt brav alles entgegen, die Lebensgeister kehren zurück.
Später können wir sogar um die Ecke auswärts essen und trinken uns den Tag noch etwas zurecht. Wobei ich fairerweise sagen muss, da braucht es gar nicht viel Getränk. Denn der Lauf ist einfach wunderbar. Super organisiert, sehr schöne Landschaft, abwechslungsreiche Strecke, liebenswert.
Chris und Luzia haben ihre Strecke in 4,5 Stunden absolviert. Chris hatte etwas mit der Hitze zu kämpfen. Aber die beiden freuen sich.
Tja, das war nun wieder anders als gewollt.
Natürlich hadere ich mit all dem. Die Gretchenfrage: Warum? Im Moment vermute ich, dass obwohl es mir nicht "heiß" vorkam, doch das nötige Quäntchen Flüssigkeit nicht reinging, so dass ich mehr und mehr in ein Defizit lief. Nur dass es am Ende so krass kam, das hätte ich mir nicht träumen lassen.
Ich lerne, auch wenn Marathon viel mit dem Kopf zu tun hat, in meinem Fall setzt der Körper der Schaltzentrale doch Grenzen. Ich sollte wohl schon jenseits von 20° solche Aktivitäten seeeehr vorsichtig angehen. Das passt auch halbwegs zu meinen bisherigen Erfahrungen. Eher (aber nicht immer) waren Läufe bei Wärme schonmal mit Problemen verbunden. Dafür lief ich
Wien 2014 fast ohne Eisen im Körper bei kühleren Temperaturen recht gut.
Es geht halt nicht auf Knopfdruck.
Ich werde dran zu knabbern haben, aber dann ist der Drops gelutscht und es wird weiter gelaufen.
Nur nicht in den nächsten Tagen.
Via Belgica nächstes Jahr wieder. Als Staffel.